Aversive Methoden in der Hundeerziehung

Was ich gerade sehr interessant finde: Es wird sehr genau differenziert, dass nicht jeder, der aversive Methoden generell befürwortet, deshalb gleich grob zu seinem Hund ist, es da viele Schattierungen gibt und man bitte genau differenzieren sollte. Was ich absolut richtig finde! Umgekehrt scheint diese Differenzierung aber nicht ganz so nötig zu sein, will mir scheinen. Ich lese immer wieder heraus, dass jeder, der aversive Methoden für sich und seinen Hund ablehnt, deshalb gleich einen kompletten Stempel aufgedrückt bekommt: Zuckersüß und rosa Schmetterlinge pubsend, jahrelang ohne Ergebnis ideologisch korrekt am Hund herumtrainierend, diesem dabei jede Menge unnötigen Stress zumutend...

Ganz ehrlich? Ich fühle mich damit nicht weniger abgewertet und in eine Schublade gesteckt als andere, denen unterstellt wird wer seinen Hund mal rempelt ist deshalb gleichzusetzen mit einem Tierquäler. Fakt ist: Mir wurde früher von vielen wohlmeinenden selbsternannten Hundeverstehern erklärt, ich müsse nur mal richtig durchgreifen, solle Sandor mit Wasserspritze, Discs oder ähnlichem klarmachen dass sein Verhalten nicht geht, dann wäre das ruckzuck erledigt. Oder einfach mal "richtig Unterordnung machen". Oder Sandor mal richtig in den Senkel stellen, wenn er sich nicht von Fremden anfassen lassen will. Will ich nicht, auch wenn mir noch so viele erklären, damit wäre alles sofort erledigt. Das bedeutet nicht, dass er kein Nein kennt. Oder dass ich niemals auf ihn zugehe, bis er wieder mitkriegt dass ich auch noch da bin und gerade was zu sagen habe. Ich stoppe lediglich genau an dem Punkt, an dem er wieder ansprechbar ist, ohne dass er deshalb eingeschüchtert wird. Und was den Zeitraum angeht: Jep, das dauert seine Zeit. Nicht endlos erfolglos, aber so lange, wie es eben dauert bis er es auch wirklich leisten kann. Da hat mir Sandor verdammt viel beigebracht. Denn achtet man die Grenzen seiner Möglichkeiten nicht exakt, dann kommt die Quittung postwendend in Form von Allergieschüben oder auch fokalen Anfällen am Abend. Sieht tagsüber gar nicht so aus, er wirkte früher schlicht wie ein komplett unkontrollierter, nach vorne gehender Terrier. Und ich mag gar nicht daran denken wie er sich entwickelt hätte, wenn man ihn entsprechend aversiv behandelt hätte.

Und was ist bei dieser ergebnislosen endlosen Herumtrainiererei herausgekommen? Gerade heute morgen kam uns wieder ein mit Strenge erzogener JRT auf dem Gehweg entgegen. Fing schon an zu fixieren, was sein Mensch nicht bemerkt hat, immerhin hat er ja nicht geknurrt wie früher. Sandor sah den kommen, versteifte sich kurz, und guckte dann zu mir: "Können wir bitte die Straßenseite wechseln?" Klar können wir, der Krümel an lockerer Leine mit mir rüber - früher hätte er da hysterisch schreiend in der Leine gehängt und auf den anderen los gewollt. Von der anderen Seite aus guckte er, ob der JRT nun vorbei war; denn leider haben wir auch schon öfter die Erfahrung gemacht, dass uns Hunde auf die andere Straßenseite verfolgen. Und richtig, versucht hat es auch der JRT. Zum Glück war er angeleint, als er plötzlich mit Bellen und Knurren zwischen die parkenden Autos sprang. Sandor versteifte wieder kurz, sah dass der nicht kommen kann, guckte wieder zu mir und schüttelte sich. Während der JRT schimpfend und recht grob weitergeschleift wurde.

Sandor kann mittlerweile selbst an vielbefahrenen Straßen langgehen (Autos waren für ihn auch ein ganz schlimmes Thema), lediglich wenn seine Batterien allmählich leer werden fängt er wieder an zu reagieren. Dann hau ich mir vor die Birne, weil ich es übertrieben habe. Er hatte nun schon seit fast anderthalb Jahren keinen Krampf mehr, ist gesundheitlich so stabil wie noch nie zuvor. Die Tierärztin, eine gute Bekannte, meinte schon, er wäre ein richtiger kleiner Musterpatient, so lange ich vorne an seinem Kopf mit dabei bin kann sie mit ihm alles machen, kein Gezappel, höchtens mal ein "aua-Grummeln" wenn es richtig doof wird. Seine Grenzen wird er immer behalten, da mache ich mir keine Illusionen. Er wird nie "normal" durchs Leben gehen können. Würde er aber auch nicht mit aversiven Methoden - oder vielleicht sogar erst recht nicht?
 
Ich habe mich wohl nicht klar genug ausgedrückt.
Es liegt mir absolut fern, dich oder deine Vorgehensweise irgendwie kritisieren zu wollen, ich habe dein Video mit Sandor gesehen und habe einen munteren fröhlichen Hund gesehen, der glücklich ist, eine Aufgabe zu haben.

Du hast das super hinbekommen, mit der richtigen Methode für euch beide.
Wohl auch deshalb, weil du beim Anwenden deiner Lösungen absolut authentisch warst und das mit Überzeugung getan hast.
Da hatte Sandor Glück, bei dir zu landen.

Ich persönlich bin aber nicht in jeder Situation der Typ, der dann alles Unangenehme für den Hund unbedingt vermeiden will.
Würde ich mich durch alle Probleme clickernd oder mit Leckerlie oder Ablenkung manövrieren wollen, dann wäre ich nicht authentisch.
Ich würde mich dann zwingen müssen, dem Hund etwas vorzumachen, was der doch durchschaut und folglich würde es wohl nicht besonders gut funktionieren.

Ich könnte nicht jeden Hund übernehmen und führen, das ist mir klar. Weder die, die ständig eine strenge, absolut konsequente Hand brauchen, weil sie bereits schlimme Erfahrungen machen mussten, noch die, die so sensibel sind, dass jedes aversive Verhalten (wie ich es meine und beschrieben habe) zu dauerhaften körperlichen und psychischen Problemen führt.

Das ist in der ganzen Diskussion auch vielleicht ein bisschen untergegangen.
Ich bin der Meinung, dass nicht jeder jede Methode authentisch rüberbringen kann und dass genauso wichtig wie die eigentliche Methode auch die Überzeugung und Glaubwürdigkeit des Menschen ist.

Genau wie jeder Hund ein Individuum ist, bei dem man Methoden "anpassen" muss und nicht pauschal nach Schema F durchhecheln kann, sind wir Menschen das auch.
Und man kann sich nur bis zu einem gewissen Grad ändern, ansonsten wird man zwangsläufig unglaubwürdig.
 
Ich denke ehrlich gesagt, dass du viele der Beiträge hier zu sehr auf dich persönlich beziehst ;)

Mir ist vollkommen bewusst, dass modernes Training Großartiges leistet und damit vielen Hunden geholfen werden kann. Ich selbst habe durchaus schon erleben müssen, wie mir meine Kompetenz einfach deshalb abgesprochen wird, weil ich auf sauberes Training statt drauf Drücken bestanden habe und man damit nix anfangen konnte, außer "komische Wattebauschwerfer" zu sagen. Ich kenne viele Auswüchse von aversivem Training und so manchem Vereinstrainer hier in der Gegend vergönne ich es aktiv, wenn sie mal an einen Hund geraten, der sich nicht einschüchtern lässt, sondern ihnen für ihren unmöglichen und einfach unfairen Umgang ein paar Löcher verpasst. Auch wenn ich weiß, dass sie leider nicht mal dadurch lernen umzudenken.

Wenn ich von den ungünstigen Auswüchsen der Ideologie Gewaltfrei spreche, rede ich auch nicht von dir. Das wäre auch schwer, denn ich kenne weder dich noch deinen Hund. Ich spreche (um mal bei Kurzhaar Collies zu bleiben, da die quasi alle vom Züchter zum Besitzer kommen, eine leichtführige, nette Rasse sind und ich dort sehr viele kenne, die einen Hund auch nie schief von der Seite ansehen würden) vom Wurfbruder meiner Collie-Hündin, einem Hund einer leichtführigen Rasse aus guter, überlegter Zucht, der beim ersten Besitzer von Welpe an mit Unterstützung einer CumCane-Trainerin aufwachsen durfte, im Alter von einem Jahr zum ersten Mal abgegeben wurde, weil er Autos, Radfahrer & Jogger jagte, generell unsicher war und es in der Hundegruppe zuhause Probleme gab. Der Hund wurde ein Jahr später nochmal abgegeben (man hatte sich natürlich einen neuen Besitzer gesucht, der die Philosophie teilt und siehe da, die Probleme wurden auch nicht besser) und ist somit erst beim dritten Besitzer wie es derzeit aussieht endgültig angekommen. Ich rede von dem Welpen, wieder KHC, der bei einer Bekannten (mit fertiger Trainerausbildung) eingezogen ist, die es aber nicht schaffte, dem Welpen insofern Grenzen zu setzen, dass er ihre Kleinhunde soweit in Ruhe lässt, damit für alle ein entspanntes Zusammenleben möglich war. Dieses Welpi wurde zwar an eine gute Stelle weitergereicht, lebte de facto aber nur wenige Monate dort. Ich rede davon, dass eine andere Bekannte mit einem in der Stadt aufgewachsenen KHC kaum in der Stadt spazieren gehen kann, weil sie in der Jugendzeit begann unsicher Leute zu verbellen, man zwar mit vielen Trainerstunden, Clicker und allem Drum und Dran arbeitet, es aber nicht schafft, den Hund mal auf der abgewandten Seite zu führen und notfalls mal abzublocken, wenn die auf Menschen losbrüllt (weil zu aversiv). Ich rede davon, dass auf Rassetreffen einer sozialen, netten und konflitkscheuen Rasse pauschal alle Rüden einen Maulkorb tragen müssen, weil man sonst Angst hat, dass was passiert.


Das sind Auswüchse, die es auch gibt und wo ich ehrlich gesagt, nur den Kopf schütteln kann. Das heißt so nebenbei auch nicht, dass ich nicht nette, entspannte und einfach gut geführte KHCs kenne. Aber bei manchen fragt man sich halt schon...
 
Naja, ich denke man denkt halt viel zu sehr an seinen eigenen Hund, und versucht die Methoden die für ihn richtig waren/sind auf alle umzumünzen, ob es nun passt oder nicht.
Dabei kann und darf man sowas eigentlich nicht machen.
Diesel ist ein Angsthund gewesen. Ihr Vertrauen zu gewinnen hat ewig gedauert. Es zu verlieren ging dafür umso schneller. Bei ihr durfte man tatsächlich nicht mal aversiv denken ;)
Die allermeisten Hunde aus guter Aufzucht, sind da aber, meiner Meinung nach, anders. Da denke ich genauso wie Blumenfee. Wenn man die aus unangenehmen Situationen sofort befreit betüddelt und sie erst wieder langsam dran führt, bestätigt man den Hund doch eher darin, dass etwas nicht stimmt. (Wie bei dem Beispiel mit den Fahrrädern) Das das etwas schlimmes ist.

Ich denke man muss einfach den richtigen Weg für seinen eigenen Hund finden. Meiner Meinung nach sind aber die wenigsten Hunde wirklich so sensibel, dass sie eine hin und wieder angemessene(!), aversive Hand nicht abhaben könnten.
Zumindest bei meinen Flats merke ich, dass sie mehr damit anfangen können, wenn ich ihr Verhalten abbreche, und richtiges Verhalten bestätige.
Baghira findet Pferde zum Beispiel unheimlich. Ihre erste Reaktion war diese zu verbellen. Ich hab Baghiras verhalten abgebrochen („Schluss!“ gezischt, geblockt) als sie sich etwas beruhigt hat bin ich mit ihr dann näher hin, und hab sie bei ruhigen Verhalten gelobt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Sandor ist ja ein sehr spezieller Hund. Das für euch rein positives Training richtig ist, sieht man am Ergebnis.
Die meisten Hunde sind aber robuster. Die fallen wegen einem deutlichen Wort nicht gleich um. Ich werde sehr selten laut (auch in der Körpersprache). Aber manchmal finde ich es auch für alle Beteiligten fair, klar und knackig zu sagen, was absolut nicht geht.
Das rechte Maß für den jeweiligen Hund zu finden ist die Kunst.
 
Meine Beiträge waren auch allgemein gehalten und haben sich nicht auf einen User hier bezogen :)

Dass man mit einem Hund wie Sandor nicht aversiv arbeiten kann, versteht sich meiner Ansicht nach von selbst. Aber ich glaube, dass man Sandor und Rex zB wirklich nicht vergleichen kann, weil Sandor eben sehr speziell ist und Rex sehr selbstbewusst und draufgängerisch. Darum denke ich, es ist doch ganz normal, dass man mit jedem Hund etwas anders umgeht.

Grundsätzlich muss ich da aber auch Blumenfee zustimmen, obwohl ich ein Fan positiven Hundetrainings bin und es in den allermeisten Fällen für einen sehr guten Ansatz halte: Gelegentlich treibt auch das rein positive, gewaltfreie Training seltsame Blüten. Ich persönlich jedenfalls würde bei einem souveränen selbstbewussten Hund in bestimmten Situationen eher mit einem authentischen "Nein", Körperblock oder Wegschubsen reagieren als ein Alternativverhalten aufzubauen, nur um ja nicht "aversiv" werden zu müssen. Bei manchen Hundehaltern habe ich das Gefühl, die trauen sich gar nicht mehr, mal klar eine Grenze zu setzen oder ein Verhalten ganz knackig abzubrechen weil das ja dem Hund gegenüber so gemein und unfair ist. Kann ich manchmal halt nicht nachvollziehen und fände es auch für den Hund stressfreier, dann einfach mal mit einem energischen "Hey" aufzustampfen.
Habe da zB im Bekanntenkreis eine Hündin, die oft Artgenossen anpöbelt und das in etlichen Fällen nicht aus Unsicherheit . Die Besitzerin hat es da meines Wissens nach noch nie über einen energischen Abbruch versucht und lässt die Hündin halt pöbelnd auf Artgenossen zugehen. Leinenlos, weil die Hündin ja Freilauf haben soll. Da würde ich ess zumindest mal mit 'nem Abbruch versuchen. Oder die Hündin stattdessen eben an der Leine lassen...

Ich finde es schon auch etwas schade dass in einigen rein positiv arbeitenden Hundeschulen - die ich ja grundsätzlich auch bevorzuge - das Thema "Grenzen setzen" so völlig ausgeklammert wird. So als sei ein klarer Abbruch nie eine Alternative.
 
Ich lese ja hier schon ne Weile mit, hab ja noch nicht so viel Ahnung von Hundeerziehung wie alle Anderen, die hier schreiben. Mein Eindruck ist, alle hier lieben ihre Hunde. Mein Fazit aus der ganzen Diskussion ist, man sollte für den Hund berechenbar sein und hinter dem stehen, was man meint und erwartet vom Tier. Wenn ich meinen z.B. am Halsband festhalte, damit er nicht irgendwo hinrennt- ist das ja auch schon aversiv- denn das passt ihm in dem Moment gerade auch nicht.
 
@Silkies kurz OT
Wie sehen die fokalen Anfälle bei deinem Hund aus?

Die Anfälle traten bisher meist in direktem Zusammenhang mit zu viel Stress bzw. psychischer Belastung auf, allerdings nicht direkt in der Situation, sondern abends. Er wirkte dann immer erst ein wenig "verstrahlt", ich weiß nicht wie ich das besser beschreiben sollte. Dann kommt er plötzlich zu mir gerannt, steht vor mir und wird komplett stocksteif. Manchmal schwankt er noch leicht vor und zurück, aber sonst ist der komplette Hund verkrampft. Er bleibt dabei allerdings stehen, fällt also nicht um. Ob er dabei ansprechbar ist kann ich gar nicht sagen, weil er ja nicht reagieren kann. Das ganze ging bisher irgendwas zwischen einer halben und einer Minute, dann kommt er wieder zu sich. Manchmal schüttelt er sich direkt und ist wieder da, manchmal braucht es noch ein paar Minuten, bis er wieder völlig sicher bei sich ist. Danach ist alles, als wäre nie was gewesen, höchstens ist manchmal die Körpertemperatur etwas erhöht - ich nehme an durch die muskuläre Anspannung. Aber wie gesagt, klopf auf Holz, das ist nun schon sehr lange nicht mehr aufgetreten.
 
Okay das klingt ja seltsam, danke für die Antwort hatte gefragt weil ich Anfälle von Tiffany auch kenne und wir als Auslöser zwischen Stress und Spoton schwanken.
 



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