Rüde pöbelt auf einmal alle(s) an - verzweifelt

Erster Hund
Charly, Terrier-Mix
Hallo, ich brauche mal wieder Euren Rat und Eure Meinungen.

Mein kleiner Terrier-Mix Rüde (unkastriert, 2 Jahre und 3 Monate, 11kg) dreht seit ein paar Wochen völlig am Rad. Er hatte schon immer Probleme mit anderen Rüden v.a. mit zugezogenen ähnlich alten in seinem Revier, aber extreme Ausschreitungen beschränkten sich auf diese 3-4 "Erzfeinde". An sich war das schon Problem genug, weil wir denen ziemlich oft begegnen und weil mein Kleiner den einst guten Gehorsam von früher bei diesen Kandidaten ausschaltet. Deshalb sind wir nur noch mit der Flexi unterwegs mit wenigen Ausnahmen.

Nun hat sich die Sache aber drastisch verschlimmert. Er knurrt und bellt nun erst einmal wieder jeden unbekannten extrem Hund an (Phase hatte er früher auch schon mal). Wenns ein Mädchen ist, ist wieder alles gut, er will spielen usw. Bei so ziemlich jedem Rüden rastet er aber komplett aus, selbst wenn wir in der Stadt unterwegs sind oder im Geschäft und er auf 20m einen anderen Hund sieht und ihn in keinster Weise bedroht, macht er Terror. Vor ein paar Monaten war das noch nicht so. Außerdem bellt er nun sogar Menschen an, die ihm nicht geheuer sind, nur weil sie eine große Tasche tragen oder plötzlich aus einem Hauseingang kommen. (Fremde Menschen sind für ihn eigtl das tollste überhaupt!) Besonders extrem in der Nähe unseres Hauseingangs. Er war nie der souveränste, aber momentan explodiert er schon bei der kleinsten Sache und ist dann nicht mehr ansprechbar. Ich muss dazu sagen, dass ich die Erziehung habe schleifen lassen, aber auch weil er immer extremer und schwieriger ansprechbar geworden ist und meine Leckerli Methoden einfach nicht mehr gefruchtet haben. Früher haben alle gestaunt, wie gut er doch hört... Diese krasse Veränderung in den letzten Wochen kann aber nicht allein daran liegen, denke ich.

Ein Grundproblem in unserem Team ist auf jeden Fall, dass er kein souveräner Hund ist, aber meint, mich, sein Revier und seine Sachen beschützen zu müssen. Ich kann ihm scheinbar aber auch nicht die nötige Sicherheit und Gelassenheit vermitteln.

Ich bin eigentlich gegen Kastration, aber gerade überlege ich ernsthaft, so einen Chip mal auszuprobieren...
Und noch etwas: Er hat vor einem Jahr HD diagnostiziert bekommen, aber offensichtlich keine Schmerzen. Könnte er vllt doch Schmerzen haben, die er aber nur durch aggressives Verhalten äußert??
Bin dankbar für jeden Tipp und jede Anregung, bin gerade nämlich richtig verzweifelt (habe heute auch noch von so ner Alki-Frau (mit Dackelrüden) aus der Nachbarschaft gehört "Sowas sollte man einschläfern"...:traurig2: )

Achso, Hundetrainer haben wir in den zwei Jahren jetzt drei durch. Aber Schema F passt auf meinen jungen Herrn nun mal gar nicht. Er ist halt nicht der typische Terrier, aber eben auch überhaupt nicht der Labrador-Typ...
 
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Zu allererst würde ich wohl wirklich abklären lassen ob er an Schmerzen leidet oder nicht. Es bringt das beste Training nichts, wenn er aufgrund evtl. Schmerzen in seinem Befinden beeinträchtigt ist.

Von einer Kastration oder auch einem Chip würde ich ersteinmal Abstand nehmen. Vor allem unsichere, ängstlichere Hunde profitieren oft nicht davon.

Dann würde ich nicht ganz klein anfangen. Ich bin bspw. großer Freund des Markertrainings und würde ihn anfangs nur für das ruhige Anschauen (meinetwegen auch aus 100m Entfernung) loben.
Er muss Selbstkontrolle lernen und das (vor allem positive) lernen ist stark eingeschränkt wenn der Hund über eine bestimmte Schwelle "fluppt".

Es lässt sich ziemlich gut an einem Lernzonenmodell aus der Erlebnispädagogik erklären:

Lernzonenmodell.gif


Die Komfortzone beschreibt dabei in etwa einen Punkt an dem der Hund sich noch selbst kontrollieren, vollkommen entspannt sein und sich sicher fühlen kann.
Diese Zone gilt es anhand der vielen, guten Erfahrungen die in der Lernzone erarbeitet werden, zu erweitern.

In der Lernzone ist der Hund dann zwar schon alamiert, aber er ist trotzdem noch ansprechbar, kann evtl. auftrainierte Ersatzverhaltensweisen (anschauen, Deine Hand oder Dein Bein berühren) noch ausführen. In dieser Zone sollte man beginnen zu arbeiten wie bspw. oben beschrieben. Der Hund wird für ruhiges Verhalten gemarkert und belohnt. Ein weiteres wichtiges Merkmal dieser Zone ist nämlich auch, dass der Hund Feedback, also Belohnungen (ob nun Futter, Spiel, verbales Lob oder was auch immer) noch annehmen kann.

Kommt man dem stressauslösendem Reiz hingegen zu nahe, rutscht man in die sogenannte Panikzone. Ob diese nun wirklich durch Panik gekennzeichnet ist, sei mal dahingestellt, oft sind auch Frustration oder nicht wahrgenommenes distanzvergrößerndes Verhalten Gründe für diese Reaktion des Hundes (was man nun hier aus Norderstedt allerdings schlecht sehen kann :D ).

Viel wichtiger: ist man mit dem Hund in diese Zone gerutscht ist er weder ansprechbar, ablenkbar noch kann er irgendwelche Kekse oder andere positive Dinge annehmen. Durch diese starke stressige Situation schaltet sich sein "Eidechsengehirn" ein welches wiederum dem Körper befiehlt was er zu tun hat. Der Hund kann in diesem Moment nicht mehr "geradeaus" denken, womit Strafe oder schimpfen genauso wie die Katz wären.

Was ich Dir also empfehlen kann: mach Dich mit positiven Trainingsmethoden wie dem Markertraining vertraut. Ob Du letztendlich wirklich einen Klicker benutzt oder nicht ist Deine Entscheidung. Man kann ebenso mit einem Markerwort oder einem Geräusch wie dem Zungeschnalzen arbeiten wohingegen ich grad die Erfahrung gemacht habe, dass vor allem reaktive Hunde besser mit dem immer gleich klingenden Geräusch des Klickers klarkommen.

Buchtipps wären unter anderem:
Clickertraining für Hunde von Martin Pietralla
Leinenaggression von Clarissa v. Reinhardt
Der hyperaktive Hund von Maria Hense (Bitte nicht vom Titel abschrecken lassen, auch für nicht hyperaktive Hunde enthält das Buch einiges an wertvollen Tipps welche euer Training auf jeden Fall bereichern können!)

Und zu guter letzt, falls Du in englisch ein bisschen auf zack bist (keine Angst, so schwer sind sie nicht zu lesen):
Click to calm von Emma Parsons
Behavior Adjustment Training von Grisha Stewart

Für denn Fall dass Du keinen Bock auf lesen hast und einer Hundeschule gern nochmal eine Chance geben magst, darfst Du Dich auch gern bei mir per PN melden zwecks Hundetrainerempfehlung.

Viele Grüße
Anne :)
 
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Danke für Deine ausführliche Antwort:jawoll:
Ich bin ja auch eigtl absolut gegen eine Kastration bei ihm wegen a)Gelenkverschlechterung und b) alle Rüden belästigen ihn dann erst recht (er hasst es, wenn ihm einer penetrant hinterherläuft)

Zu den Zonen: In der Komofortzone ist er nur zuhause, draußen ist er auf Lernzone, was aber eben lange sehr gut funktioniert hat. Mittlerweile ist er aber permanent auf "Eidechsenmodus" (das merk ich mir:happy4:), das heißt, steigert sich sofort rein, nimmt mich nicht mehr wahr und auch kein Leckerchen etc., wie Du beschreibst. Deshalb weiß ich nicht, wo ich in dem Moment ansetzen kann. Es hat ja mit positiver Bestätigung lange super funktionert, aber auf einmal gar nicht mehr. Aber wie ich mir schon dachte, muss ich am besten nochmal komplett mit Erziehung anfangen, in einer reizarmen Umgebung. In Berlin Mitte und ohne Auto ist das allerdings so eine Sache... Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!

Clickern habe ich probiert, aber meine das auch per Schnalzen/Stimme gut hinzukriegen. Das Hilfsmittel irritiert uns beide eher. Die Leckerlis nehme ich inzwischen schon gar nicht mehr mit zum Gassi. Zum einen sieht er mich nur noch als laufenden Futterspender, zum anderen gibt es kaum noch Situationen, in denen das funktioniert.

Das Buch mit dem hyperaktiven Hund klingt interessant. Er kann draußen halt nie ganz entspannen. Entweder er ist "angestrengt" am Markieren, am Spielen, am Bewachen oder am Pöbeln. Entspannung findet nur bei geschlossener Balkontür drinnen statt. Das Terrier(-Schäfi)-Gen spielt da sicher eine Rolle. Das einzige, was bei ihm noch gut geht, ist das Riesenauslaufgebiet im Wald mit hunderten Hunden. Da ist er absolut sozial und verhält sich auch top. Leider kann momentan nur mein Partner mit ihm dort hin, was unser Team sicher auch schwächt... Generell ist er auch ein prima sozialisierter Hund und er hat auch oft "Recht" und ich kann ihn verstehen, nur muss er sich ja trotzdem an gewisse Regeln halten, die für ihn erst mal unlogisch sind.

Auslastung ist sicher auch ein Problem. Da muss ich mehr machen, andererseits findet er die gelenkschonenden Beschäftigungen alle nicht so spannend bzw hasst sie... Tipps?

Wegen der möglichen Schmerzen: Was der TA sagen würde, weiß ich schon. Vollnarkose, röntgen, 200Euro. Dann weiß ich, obs sichs verschlechtert hat oder gleich geblieben ist. Über seine Schmerzen sagt das nichts aus. Und pro Forma Schmerzmittel geben, ich weiß nicht...
 
Zu den Zonen: In der Komofortzone ist er nur zuhause, draußen ist er auf Lernzone, was aber eben lange sehr gut funktioniert hat.

Mittlerweile ist er aber permanent auf "Eidechsenmodus" (das merk ich mir:happy4:), das heißt, steigert sich sofort rein, nimmt mich nicht mehr wahr und auch kein Leckerchen etc., wie Du beschreibst.

Hier muss man aber etwas aufpassen und differenzieren. Hunde die schon länger mit einem bestimmten Verhalten agieren, verfeinern ihre Strategien von Mal zu Mal (erst recht wenn sie immer sehr erfolgreich damit sind :) ). Es kann also sein dass er sehr wohl sein "normales Hundegehirn" noch nutzen kann und noch nicht in dem "Eidechsenmodus" feststeckt. :jawoll:

Deshalb weiß ich nicht, wo ich in dem Moment ansetzen kann.

Ich beginne das Training in solchen Fällen immer mit einer sensorischen Diät. Dabei geht es darum stressauslösende Reize für eine gewisse gen null zu senken. Meist für einen Zeitraum von etwa 2 Wochen. Falls das vor der eigenen Tür nicht möglich ist, wäre es eine Möglichkeit mit dem Auto ein Stück weiter raus zu fahren, oder (unter Umständen auch eine gute Lösung) der Hund wird ein Stück zu einem ruhigen Ort getragen.
Eine weitere Hilfe kann ein Calming Cap sein, allerdings habe ich persönlich noch nicht damit gearbeitet. Kollegen hingegen berichten mir nur positives.


Es hat ja mit positiver Bestätigung lange super funktionert, aber auf einmal gar nicht mehr. Aber wie ich mir schon dachte, muss ich am besten nochmal komplett mit Erziehung anfangen, in einer reizarmen Umgebung. In Berlin Mitte und ohne Auto ist das allerdings so eine Sache... Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!

Das ist schon mal eine klasse Einstellung! Und ja, der Anfang ist oft sche**ehart, aber es lohnt sich wirklich dran zu bleiben! :jawoll:

Clickern habe ich probiert, aber meine das auch per Schnalzen/Stimme gut hinzukriegen. Das Hilfsmittel irritiert uns beide eher. Die Leckerlis nehme ich inzwischen schon gar nicht mehr mit zum Gassi. Zum einen sieht er mich nur noch als laufenden Futterspender, zum anderen gibt es kaum noch Situationen, in denen das funktioniert.

Gibt es denn andere Dinge die er draußen mag? Man muss ja nicht immer mit Futter belohnen. Hier mal eine Anregung wie kreativ man belohnen kann: Belohnungsguide


Das Buch mit dem hyperaktiven Hund klingt interessant. Er kann draußen halt nie ganz entspannen. Entweder er ist "angestrengt" am Markieren, am Spielen, am Bewachen oder am Pöbeln. Entspannung findet nur bei geschlossener Balkontür drinnen statt. Das Terrier(-Schäfi)-Gen spielt da sicher eine Rolle. Das einzige, was bei ihm noch gut geht, ist das Riesenauslaufgebiet im Wald mit hunderten Hunden. Da ist er absolut sozial und verhält sich auch top. Leider kann momentan nur mein Partner mit ihm dort hin, was unser Team sicher auch schwächt... Generell ist er auch ein prima sozialisierter Hund und er hat auch oft "Recht" und ich kann ihn verstehen, nur muss er sich ja trotzdem an gewisse Regeln halten, die für ihn erst mal unlogisch sind.

Da hast Du Recht. Auf der anderen Seite kann man für einen Hund das "sich an Regeln halten" ja auch schmackhaft machen. :jawoll:

Auslastung ist sicher auch ein Problem. Da muss ich mehr machen, andererseits findet er die gelenkschonenden Beschäftigungen alle nicht so spannend bzw hasst sie... Tipps?

Wie siehts aus mit Futtersuche? Das kann man sogar mit tollen Übungen zur Impulskontrolle verbinden und stärkt somit wiederum auch die Bindung. Ich habe ganz klein angefangen und Futterbröckchen gut sichtbar fallen lassen, mit der Zeit dann auch mal in höherem Gras und mittlerweile suchen meine Zwei Futterkrümel auf 9m² im Maisfeld. :jawoll: Steht der Hund drauf, ist das ebenso eine prima Belohnungsmöglichkeit die zudem stressreduzierend wirkt. :)

Wegen der möglichen Schmerzen: Was der TA sagen würde, weiß ich schon. Vollnarkose, röntgen, 200Euro. Dann weiß ich, obs sichs verschlechtert hat oder gleich geblieben ist. Über seine Schmerzen sagt das nichts aus. Und pro Forma Schmerzmittel geben, ich weiß nicht...

Dass Du ihn nicht gleich in Narkose legen oder auf blauen Dunst Schmerzmittel geben möchtest, kann ich verstehen. Vielleicht würde ein Besuch bei einer Physiotherapeutin Sinn machen? Ich war letzte Woche grad mit meiner Hündin bei unserer Tierheilprakitikerin die nebenbei auch Hundephysiotante ist und habe sie mal "einfach so" durchtasten lassen, vor allem die Gelenke.

Sie konnte mit einem Griff und der dazu gezeigten Reaktion des Hundes sagen dass sie vorn links in der Schulter leicht blockiert ist. Ich denke da müsste dann auf jeden Fall zu klären sein ob Dein Herr Hund Schmerzen aufgrund seiner HD hat. :jawoll:

Viele Grüße
Anne :)
 



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