Schräg gegenüber von uns, etwa 50 Meter entfernt, wohnt eine Familie mit erwachsenem Sohn und einem mittlerweile etwa 8 jährigen Labrador.
Sie haben einen großen Garten und eine große Terrasse im ersten Stock. Dort hält der Hund sich auf, er wird nie Gassi geführt, zumindest habe ich ihn in den 8 Jahren niemals außerhalb des Hauses angetroffen.
Als er ein Welpe war, sprang er ein paar Mal im Vorgarten herum und das war's. Wenn ich mit Kira an dem Haus vorbeigehe dann bellt er oft, entweder ist er auf der Terrasse, die nach hinten geht, oder im Garten.
Ich habe mir schon öfter Gedanken um den Hund gemacht, getan habe ich allerdings noch nichts. Was sollte ich auch tun, er ist oft an der frischen Luft, der Garten ist relativ groß, er kann also rennen, er wird ausreichend gefüttert, hat jederzeit Zugang ins Haus und allzu viel allein muss er auch nicht bleiben. Trotzdem halte ich das für ein trauriges Hundeleben.
Gesehen habe ich ihn, außer als Welpen vor vielen Jahren, immer nur aus der Ferne, an der Ecke der Terrasse oder hinten im Garten.
Vor ein paar Wochen bin ich sonntags relativ früh am Morgen mit Kira Gassi gegangen. Als wir auf dem Rückweg durch unsere Straße waren, Kira trottete müde neben mir her, hörte ich hinter mir plötzlich ein Schnaufen, drehte mich um und da stand auf einmal ein heller Labrador neben mir, wedelte mit dem Schwanz, dass sein ganzes Hinterteil wackelte und freute sich offensichtlich außerordentlich mich zu sehen.
Kira war natürlich nicht erfreut, aber der Hund schien seltsamerweise mehr Interesse an mir als an Kira zu haben. Wir waren noch ein gutes Stück von dem Haus entfernt und ich wusste natürlich nicht, wohin der Hund gehörte, dachte nur, das könnte doch der eine Labrador sein.
Es war niemand sonst unterwegs und ich ging dann langsam weiter, in Richtung auf das vermutete Zuhause und auf unser Haus zu. Der Hund lief wie eine Eins neben mir, als gehörte er zu mir und das schon seit langem. Kira ging auf der anderen Seite und warf immer wieder missgelaunte Blicke auf unsere Begleitung.
Als wir das Haus mit der großen Terrasse passierten, reagierte er überhaupt nicht. Er klebte mit seinem Blick an mir, so wie man das auf den Trainervideos immer sieht und so, wie Kira es nie im Leben machen würde, egal was ich anstelle.
Er lief unbeirrt neben mir her und warf keinen Blick auf das von mir vermutete Zuhause.
Da wurde ich dann unsicher und dachte, na gut, da gehört er nicht hin, muss ich mal schauen, wem der Hund nun gehört.
Ich ging bis zu unserer Haustür, Labrador neben mir, machte die Tür auf, schubste die empörte Kira rein, hinderte einen neugierigen Ivan daran, gleich mal rauszukommen und knallte die Tür wieder zu. Quasi dem Labrador vor der Nase, denn der wollte selbstverständlich auch da rein.
Dann schaute ich ihn mir genauer an und sah deutliche Liegeschwielen an seinen Vorderbeinen und ebenfalls, dass er einige Kilos zuviel herumschleppte. Er wedelte immer noch wie ein Weltmeister und blickte mich treuherzig an. Mir war da aber klar, dass es der Labrador von schräg gegenüber sein musste, den ich zuletzt als Welpen gesehen hatte.
Also ging ich zu dem Haus, er lief neben mir und klingelte. Beim zweiten Klingeln machte das verschlafene Frauchen auf, der Hund lief ins Haus und sie war total erstaunt, wo der jetzt herkäme. Sie hatte noch gar nicht bemerkt, dass er weg war und wie er es geschafft hat, weiß ich bis heute nicht.
Sie bedankte sich dann, im Grunde sind die Leute dort sehr nett, haben halt eine andere Vorstellung von Hundehaltung als ich.
Ich dagegen kam mir vor wie ein Verbrecher, der den armen Hund wieder ins Gefängnis zurückgebracht hat. Obwohl er nun nicht unwillig ins Haus gelaufen ist, eher gottergeben.
Nach dem was ich hier gelesen habe, hätte ich den Tierschutz verständigen müssen, aber es geht dem Hund ja eigentlich nicht schlecht.
Er wird nicht misshandelt, er wird gefüttert, er kommt oft an die frische Luft, lebt im Haus und ist nicht überdurchschnittlich viel allein.
Es mangelt nur an Auslastung, geistig wie körperlich.
Ich hatte mir kurz überlegt, anzubieten, ihn mal mitzunehmen bei unseren Gassigängen, aber damit würde ich Kira keinen Gefallen tun.
Davon abgesehen glaube ich nicht, dass die Leute damit einverstanden wären.
Aber ich werde den Blick nicht so schnell vergessen, als ihm klarwurde, dass er nicht mit zu mir ins Haus darf. Und das tut schon ein bißchen weh.