Ich habe mich in den letzten Tagen sehr intensiv mit dieser Theorie auseinandergesetzt und komme zu dem Schluss, dass sie schlichtweg Unsinn ist. Und niemand hier sollte sich verunsichern lassen, nur weil beschriebene Eigenschaften auf den eigenen Hund zutreffen!
Nach einem Gespräch mit Thomas Riepe möchte ich mich seiner Meinung anschließen und halte dieses Rudelstellungs-Gedöns für äußerst abenteuerlich. Dafür gibt es Gründe, die belegbar sind:
1. Die Rudelstellung wird bei Wölfen und Hunden gleichermaßen angewandt. Dass dies Schwachsinn ist, wird dadurch klar, dass Wölfe und Hunde in verschiedenen Gemeinschaftsstrukturen leben und Hunde eben KEINE Wölfe sind.
2. Wölfe leben in Familien, bestehend aus den beiden Elterntieren und deren Nachwuchs. Erwiesenermaßen (durch David Mech und Günther Bloch) ist das Sozialgefüge von Wölfen geprägt durch verantwortungsbewusste Elternschaft. Die beiden Elterntiere führen das Rudel nur aus einem Grund an: Sie sind die Eltern. Die hierarchische Struktur des restlichen Rudels ist äußerst flexibel und keinesfalls starr.
3. Einige Nachkommen in Wolfsrudeln wandern ab. Die Tendenz dazu lässt sich bereits im Welpenalter erkennen. Wölfe, die abwandern und eigene Rudel bilden, nehmen dadurch ganz automatisch eine neue Position ein, denn sie werden nun selbst Eltern.
4. Hunde bilden, ohne Einfluss des Menschen, keine hierarchisch strukturierten Rudel. Verwilderte Haushunde streifen meist allein umher, bilden zufällig, sporadisch, manchmal auch regelmäßig Gruppengemeinschaften mit starker Fluktuation, einen Rudelführer in diesem Sinne gibt es nicht. Über längere Zeit gemeinschaftlich lebende Rudel bestehend meist aus Mutter und Nachwuchs. Organisierte Rudel sind äußerst selten auch auch hier gibt es Abwanderungen, wodurch sich die Positionen der Individuen wieder völlig verändern können. Hunde sind sehr anpassungsfähig und ihre Rudelpositionen ändern sich durch verändernde Umstände immer wieder. (Empfohlene Lektüre zu diesem Thema: "Die Pizza Hunde" von Günther Bloch)
5. Es gibt Unterschiede zwischen dem Verhalten innerhalb der Gruppe, und dem Verhalten außerhalb der Gruppe. Besonders Mehrhundehalter werden schon über das Phänomen gestolpert sein, dass einer ihrer Hunde, der zu Hause im eigenen Rudel eher der "Buhmann" ist, außerhalb der Gruppe, beim Aufeinandertreffen mit anderen Hunden, plötzlich zum Oberzampalo wird. Oder auch umgekehrt. Ich selbst habe zwei Hunde, deren Verhalten innerhalb und außerhalb der Gruppe gegensätzlicher nicht sein könnte! Das Mädel ist zu Hause der Boss, der Rüde draußen. Situativ ändert sich das sogar hin und wieder.
Die Theorie der Rudelstellung ist und bleibt nichts anderes als eine Theorie, die weder belegbar ist, noch, in Anbetracht der aktuellen ethologischen Erkenntnisse, nur ansatzweise Sinn ergibt. Es gibt Hundetypen - mutige, ängstliche, unsichere, offensive, ruhige, nervöse, führende, folgende. Aber auch diese passen sich nur ihren Umständen an.
Meine Meinung über Maja Nowak ist extrem zwiegespalten. Ich habe zu viel Negatives über sie gelesen und stehe in Kontakt mit einem Hundehalter, der mit seiner Ridgebackhündin bei ihr war. Sie hat die Unsicherheit des Hundes nicht erkannt und ihn stark bedrängt. Zudem empfiehlt sie wohl jedem gleich obligatorisch Millan-Lektüre, scheint nicht zu wissen, dass operante Konditionierung nicht nur positive, sondern auch negative Konditionierung beinhaltet (positive Belohnung, negative Konsequenzen) und behauptet stattdessen, nicht zu konditionieren, sondern nur zu kommunizieren (was einfach falsch ist) und hat, meines Erachtens, wie sehr viele aversive Trainer, ein großes Problem mit unsicheren und ängstlichen Hunden. Zudem behauptet sie, keine Leckerlis zu verwenden, macht es abseits der Kameras aber eben doch. Dass sie dann versucht, sich damit herauszureden, den Hunden zwar Leckerlis zu geben, aber damit nicht zu erziehen, ist mir persönlich sehr unsympathisch, weil für die Presse da ein Bild vorgegaukelt wird, das so einfach nicht stimmt. Was ich im ZDF-Format "Die Hundeflüsterin" gesehen habe, hat mich zum Teil sehr erschreckt. Vor allem Aussagen wie "Es ist gut, dass der Hund jetzt hechelt" in einer Situation, in der der Hund deutlich Stress zeigte. Und auch bei ihr sehe ich das Problem darin, das einfach viel zu viel Wirbel um sie als Person gemacht wird, der Fokus auf Sympathie und ihrer Vergangenheit liegt und dabei ihre eigentliche Arbeit sehr in den Hintergrund rückt. Wenn man sich "blenden" lässt, verliert man oft den Blick für das Wesentliche, das ist der Grund, warum ich mir Hundetrainingsformate generell ohne Ton ansehe.
Andererseits finde ich Nowaks situative Kommunikation bei schlichtweg unerzogenen (nicht ängstlichen oder unsicheren Hunden) sehr gut - solange dabei keine Würgehalsbänder zum Einsatz kommen. Ich finde es beeindruckend, dass sie es schafft, Fehlverhalten mit sehr einfachen Mitteln beizukommen, ohne verwirrendes Konditionierungs- und Clickergedöns (ich habe aber nichts gegen Clicker!), ohne, dass man sich jetzt den Kopf zerbrechen muss, wie man das beendet. Einfach auch mal intuitiv handeln und das tun, was man gerade für richtig hält. Das ist etwas, das einem immer mehr und mehr abhanden kommt, je mehr man sich von Fachartikeln, Büchern, Abhandlungen und Studien verwirren lässt, wo man auf 10 sowieso 9 verschiedenen Meinungen bekommt. Das richtige Bauchgefühl sollte neben dem Fachwissen nicht ignoriert werden.
Allerdings:
Jeder, der sich ein klein wenig mit canider Ethologie beschäftigt (und Nowak hat angeblich zumindest Tier- oder Hundepsychologie studiert), den sollte diese Rudelstellungstheorie schon äußerst stutzig machen. Ich frage mich, wie viele Hunde dadurch situativ in eine Position gepresst werden, die sie eben ohne die Störung des Menschen situativ gar nicht einnehmen würden. Vielleicht hilft es dem ein oder anderen Hund in bestimmten Situationen weiter, und für einen anderen Hund ist es in einer bestimmten Situation einfach nur fatal. Man kann einem Hund keinen starren "Rudelplatz" zuweisen, wenn er selbst aufgrund seiner Verhaltensbiologie gar keinen festen Rudelplatz hat - sondern den einnimmt, der gerade gebraucht wird oder verfügbar ist.