Aber die "Dominanzfrage", von der die Dominanztheorie ausgeht (und das tut sie durchaus immer noch, wenn auch unter Umständen in veränderter Form, sie ist z.B. wo ich wohne leider keineswegs untergegangen), gab es so ja nie.
Ich habe das Wort "Dominanz" bewusst unter Anführungszeichen gesetzt, da das Thema Dominanz/sozialer Status per se etwas ganz anderes beschreibt, als das, was viele Leute mit einem dominanten Hund meinen - nämlich einen selbstbewussten Hund, der weiß was er will. Und ja, diese Hunde gibt es durchaus und es gibt auch welche, die gelernt haben, das was sie wollen mit den Zähnen zu bekommen. Dominanz ist im allgemeinen Sprachgebrauch ein sehr schwammiger Begriff, da sehr viele Dinge vermischt werden, die eigentliche Bedeutung, in der es eine soziale Beziehung zwischen 2 Individuen beschreibt, gibt es durchaus. Aber es gibt natürlich nicht "den dominanten Hund", da Dominanz einfach keine Charaktereigenschaft ist.
Während Angst zumindest bei Aggressionsverhalten gegenüber anderen Hunden ein extrem häufiger Auslöser ist, wahrscheinlich gefolgt von fehlgeleitetem Jagdverhalten. "Echtes", quasi reines Aggressionsverhalten gibt es auch, aber ist soweit ich weiß sehr selten und die anderen Optionen wären erst mal auszuschließen, was schwierig sein kann - und dann wäre es immer noch kein "dominanter" Hund. Auch in Bezug auf Menschen ist bewiesen, dass aversive Methoden Aggressionen enorm fördern und auslösen können und dass selbst Schimpfen da nicht ohne ist, ich weiß nicht, ob du die (englischssprachige) Studie kennst, an die ich da denke, aber könnte sie sicher wiederfinden.
"Reines Aggressionsverhalten" halte ich bis auf irgendwelche neurologischen Ausfallerscheinungen tatsächlich für einen Mythos. Aggression ist ein Mittel zum Zweck, ob der Zweck nun ist, etwas das mir Angst macht fernzuhalten oder etwas, das ich möchte zu bekommen, ist eine andere Frage. Dass auch Frust zu Aggressionsverhalten führen kann, weiß jeder, der seinen PC schon gern mal aus dem Fenster geworfen hätte, weil er nicht tut was man will. Leute mit schlechter Frustrationstoleranz werden tatsächlich was zerdeppern, Hunde mit schlechter Frusttoleranz beißen dann schonmal in Leine oder Herrchen, wenn sie da nun nicht zu dem Hund da drüben dürfen... Das ist aber meistens eine Überreaktion und für mich etwas anderes, als Dieters Schäferrüde, der sagt "du gehst da jetzt aber nicht durch Tür in meine Küche".
Wenn man aversive Methoden ablehnt, MUSS man die Ursache finden, um weiterzukommen und kann normalerweise nicht einfach versuchen, das Verhalten zu unterdrücken - und sicher gibt es auch da schlechte und inkompetente Trainer, aber die haben dann eine wesentlich geringere Wahrscheinlichkeit, dass sie den Hund so weit bringen, dass ihm niemand mehr helfen kann, obwohl die Situation vorher noch zu retten gewesen wäre.
Ich halte es vor allem für nett, die Ursache zu kennen, da sich die Einstellung der Leute meist ändert, wenn sie verstehen, was da gerade passiert. Dieses Verständnis hilft vielen Menschen wirklich weiter. Und je schwieriger das Problem, je weniger ich mit ein wenig Standardtraining weiterkomme, umso sinnvoller ist es zu hinterfragen, wo das Problem genau liegt, um das Ganze umfassender und auf mehreren Ebenen angehen zu können.
Wenn ich ganz behavioristisch Jean Donaldson zitiere, ist es für ein Stubenreinheitstraining aber zB nicht wichtig zu wissen, ob der Hund nun "eigentlich stubenrein ist und nur markiert" oder nicht. Er pinkelt rein - solange es keine medizinischen Ursachen gibt, ist der Grund dafür irrelevant für das Training. In allen Fällen werde ich a) das gewünschte Verhalten belohnen und b) das unerwünschte Verhalten durch möglichst lückenloses Management vermeiden. Diese beiden Punkte reichen für einen großen Teil der typischen "kleineren" Verhaltensproblematiken völlig, um zu einem adäquaten Ergebnis zu kommen. Man braucht nur ein sinnvolles Verständnis für Verstärker und ein gutes Timing...
Beim Training lieber einmal zu viel "schöngefüttert" als im falschen Moment die Stimme gehoben, und wegen dem hohen Backlash-Potentiel bei aversiven Methoden sind mir inkompetente Trainer, die ohne arbeiten, immer noch um einiges lieber als ihre ebenso inkompetenten "Gegenstücke".
Nein! Wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht, grustelt es einen, was die Leute so alles unbewusst bestätigen. Ständig im falschen Moment zu bestätigen (und sei es nur unbewusst) kann genauso zu Problemverhalten führen und gefährlich werden, wie ständig unfair zu strafen.
Ein Beispiel hatte ich schon im ersten Beitrag hier genannt... Hundetrainer empfiehlt: Wenn Hund dir droht, dreh dich um und räume das Feld...
Ist das nun ein völlig neuer Tierschutzhund bei mir, bin ich da sogar dabei. Wenn es um ein einmaliges Konfliktmanagement geht, der Konflikt in Zukunft vermieden und von klein auf neu aufgebaut wird, ebenso. Als generelle Strategie, möglicherweise grade beim pubertierenden Jungspund, der so einfach mal probiert, ob das nicht eine Möglichkeit wäre, mit der man eine gewünschte Sache doch bekommt (ja, das gibt es) - Nein, danke! Ich muss den Hund da weder anschreien, noch verprügeln. Aber weggehen und ihm somit Erfolg verschaffen (am Besten mehrmals) halte ich für brandgefährlich. So lernen Hunde ganz ohne aversive Mittel ganz großartig, wie gut man durch die Welt kommt, wenn man nur seine Zähne einsetzt. Und nein, das braucht keiner...
Es wundert mich übrigens auch nicht, warum die Hündin einer Freundin nicht nur nicht aufhört Hunde anzupöbeln, sondern dabei immer schlimmer wird. Dem Hund in den Atempausen zwischen dem Getöse Leberwurst zwischen die Zähne zu quetschen hat einfach nichts mit sinnvollem Einsatz von Bestätigung zu tun. Aber sie ist der Meinung, das hat so zu sein - gut ist ihr Hund (er ist klein genug, dass sie ihn immer halten wird können), wir werden sehen wo es hinführt :denken24: