Etwas "andere" Hunde

Natürlich sind alle Hunde auf ihre eigene Art speziell. Jeder bringt seine Eigenheiten mit, jeder seine individuellen Stärken und Schwierigkeiten. So gesehen ist das Besondere im Grunde normal.

Doch dann gibt es auch solche, die aus dem einen oder anderen Grund alles auf den Kopf stellen. Ich selbst habe mit Sandor so ein Spezialfellchen kennen lernen dürfen, bei dem alles anders ist als erwartet. Anfangs dachte ich noch, es liegt komplett an mir, dass ich irgendwas völlig falsch angehe. Es hat viele kompetente Meinungen von außen gebraucht, bis ich wirklich realisieren konnte: Er ist nicht "normal", wird es auch niemals sein. Wenn sich früher andere Hundehalter bei mir über die Macken ihrer Hunde beklagten, war das meist begleitet von Sätzen wie "das kannst du natürlich nicht verstehen, deine können das ja bzw. machen so was nicht". Bis Sandor kam. Dann war der Standardsatz dazu eher, "also nicht so heftig wie dein Krümel, aaaaber..." Das gibt einem schon zu denken. Aber es waren Sätze wie "mit ihm ist es wie in einem Paralleluniversum, alles sieht ähnlich aus und ist dann doch komplett falsch rum" (Vereinstrainerin) oder "mit einigem musst du dich auch einfach abfinden, es ist mit ihm wie mit einem behinderten Kind" (Profitrainerin), die mir endgültig klar gemacht haben, dass ich mit ihm einfach alles neu überdenken und definieren muss.

Es war und ist eine harte Schule. Vieles, was für mich früher völlig selbstverständlich war, ist nun eine riesige Herausforderung. Auf etliches, was eigentlich zu einer guten Hundehaltung dazugehört, müssen wir verzichten. Wie die täglichen langen Waldrunden etwa, Freilauf, schöne Ausflüge... Täglich die gleichen Runden um die Häuser zu drehen zum Beispiel, das ist wahrlich nicht das, was man sich üblicherweise als sinnvoll vorstellt - und auch nix, was Spaß macht. Aber ich habe gelernt, Sandor zu liebe alles zu hinterfragen und auch über den Haufen zu werfen, was ich bis dahin zu wissen glaubte, und mich ganz darauf einzulassen, was er wirklich braucht.


Und so fände ich es sehr spannend, wenn wir hier einen Austausch finden könnten unter Haltern ähnlich spezieller Hunde. Denn sie sind Herausforderung und Chance zugleich!
 
Wie die täglichen langen Waldrunden etwa, Freilauf, schöne Ausflüge... Täglich die gleichen Runden um die Häuser zu drehen zum Beispiel, das ist wahrlich nicht das, was man sich üblicherweise als sinnvoll vorstellt - und auch nix, was Spaß macht.

Warum keine Waldrunden?
Und warum täglich die gleichen Runden um die Häuser?
Leidet Sandor an einem Deprivationssyndrom. was ich mir - so Du ihn als Welpen bekommen hast - nicht wirklich vorstellen kann? Da ich Dich als kompetente Hundehalterin ansehe, ist es nicht vorstellbar, dass Du einen Welpen derart reizarm aufwachsen lässt, dass er bleibende Schäden davonträgt.

Oder zeigt er autistische Züge?
 
Ein Deprivationsschaden denke ich weniger - aber definitiv läuft bei ihm irgendwas im Gehirn nicht ganz rund, was in der Folge nicht ganz unähnlich ist. Er hat enorme Probleme, andere Hunde einzuschätzen. Sobald irgendwas plötzlich kommt, ist er überfordert und tickt aus. Zu viele bzw. schnelle Reize kann er nicht verarbeiten. Er braucht unbedingt seine Routinen und Sicherheit - und wird er überfordert, kommt es abends zu einem fokalen Anfall. (Was wir glücklicherweise nun schon anderthalb Jahre nicht mehr hatten! :))

Waldrunden wären generell ok, wenn das hier nicht in der Gegend ein Paradies für Tutnixhalter wäre. Was mit anderen Hunden eher lästig ist, ist für Sandor eine Katastrophe. Wenn freilaufende Hunde auf ihn zukommen, sieht er das als höchst bedrohliche Situation. Das konnte ich zwar schon extrem abschwächen - früher hat es schon gereicht, wenn er einen Hund nur am Horizont gesehen hat - aber direkte Begegnungen mit Fremdhunden sind nach wie vor nicht drin. Deshalb fahre ich mit ihm mindestens einmal die Woche ins Freilichtmuseum Hessenpark, wo Hunde an der Leine mit dürfen. Dort kann er dann in Frieden auch mal Wald und Feld schnuppern, und mittlerweile hat er auch rausgefunden, dass die Hunde dort nicht zu ihm hin kommen. Folglich ist er dort entspannt unterwegs. Aber immer im ihm möglichen Rahmen. Das heißt, anfangs ging nicht mehr als maximal eine dreiviertel Stunde. Inzwischen schafft er bis zu zwei Stunden, dann aber fängt er an hohl zu drehen.

Interessanterweise ist er an sich sehr schlau. Ich habe oft das Gefühl, er regelt alles mögliche über bewusstes Denken, was bei anderen locker automatisiert läuft. Nur schafft er dieses Automatisieren eben sehr schlecht. Wenn er beispielsweise einen Hund kennen lernt und als harmlos erlebt, kann er mit diesem durchaus auch sehr freundlich und deeskalierend umgehen. Zumindest so lange die Situation nicht unübersichtlich wird. Das bedeutet aber nicht, dass er das übertragen könnte. Mit jedem neuen Hund fangen wir ganz von vorne an. Ähnlich geht es auch mit Straßen. Schnell fahrende Autos haben ihn lange genauso überfordert wie Sperrmüll, Lastwagen, und überhaupt alles was "anders" war. Und auch hier konnte er nichts verallgemeinern. Wenn wir für die eine Straße geklärt hatten, dass das mit den Autos ok ist, war schon die nächste Nebenstraße wieder ganz was anderes. Jeder Sperrmüllhaufen war ein neues Monster. Erst in letzter Zeit schafft er es, zumindest in begrenztem Umfang auch neue Wege gleich zu verarbeiten. Zumindest, so lange es nicht zu viele und zu aufregende sind.

Die größte Schwierigkeit aber ist, dass er sich nicht richtig selbst einregeln kann. Wie tief das sitzt haben mir zwei Situationen richtig deutlich gezeigt, da war er anderthalb bzw. zwei Jahre alt. Das erste war eine Hundefigur vor einem Laden. Sandor nahm die wahr und ist völlig ausgetickt. Da der Laden abseits ohne Wohnhäuser ringsum lag und es zudem Wochenende war, dachte ich, ich gebe dem Krümel mal die Gelegenheit sich der Sache selbst zu stellen und zu merken, das Teil bewegt sich nicht. Ich bin also ganz ruhig und entspannt geblieben, aber nicht vorneweg ran, sondern hab mich nebendran auf die Sitzbank gesetzt und ihn beobachtet. Denn jeder Hund, den ich bis dahin kannte, hätte früher oder später realisiert, dass das Ding sich nicht bewegt, und zumindest mal vorsichtig den Hals langgemacht um der Sache auf den Grund zu gehen - was ich dann sofort unterstützt hätte. Nicht so Sandor. Bei ihm habe ich das ganze abgebrochen als abzusehen war, dass er sich eher in einen Kollaps tobt als dass er sich auch nur ansatzweise einregeln könnte. Hab ich in dieser extremen Form sonst noch nie gesehen. Und endgültig die Augen geöffnet hat es mir, als er nach der Kastration (Kryptorchismus) in der Aufwachbox war. Ich hatte das sicherheitshalber in der JLU-Gießen machen lassen, und dort abgesprochen dass ich in der Aufwachphase bei ihm sein kann. Ich hockte da also mit ihm in der großen Aufwachbox, Sandor war noch gar nicht richtig da, die Beine wollten noch in alle Richtungen davon, nicht mal stehen ging. Aber als draußen ein Geräusch zu hören war, fing er an zu schreien und wollte darauf los... Da wurde mir zum ersten mal die volle Tragweite klar: Er hat das ganze schlicht nicht unter Kontrolle, das ist bei ihm ganz tief drin. Und auf diese Ebene kommt man nur mit Übung nicht wirklich ran.

so Du ihn als Welpen bekommen hast

Ich habe ihn mit zwölfeinhalb Wochen bekommen. Allerdings war er da schon massiv auffällig. Als ich mich nur hingehockt habe ist er unter den Tisch und hat von dort vorgebellt. Auf der Rast bei der Heimfahrt hat er einen urgemütlichen Berner Sennen in einiger Entfernung laufen sehen und hing komplett ausrastend in der Leine. Die ersten Dinge, die wir also geübt haben, waren solch hochtrabende Dinge wie "es ist nicht gruselig wenn ich dich anfasse", "Passanten heißen so weil sie passieren dürfen", "man muss nicht wegen jedem merkwürdigen Geräusch losschreien" - da blieb für all die Dinge, die man üblicherweise einen jungen Hund in diesem Alter erleben lässt, einfach kaum Raum. Zumal er das Urvertrauen zum Menschen nicht hatte, und ich ihm von daher auch erst mal nicht die nötige Sicherheit geben konnte. So weit die Kurzfassung...
 
Ich finde es beeindruckend, wie Du dich auf Sandor eingelassen hast. Und was Du erreicht hast.
Ich glaube, viele Durchschnittshundehalter hätten kapituliert.

Ich hatte zwar auch schon teilweise verhaltensoriginelle Hunde, aber keinen in diesem Maße. Alles soweit regelbar, das sie in der Öffentlichkeit mehr oder weniger unauffällig unterwegs waren.
Ali ist ein bißchen merkwürdig. Der hat Probleme, Situationen und Verhaltensweisen zu generalisieren. Da tut er sich schwer und braucht lange. Aber es ist längst nicht so wie bei Euch.
Bei meiner Arbeit im TH habe ich einige wenige sehr gestörte oder verstörte Hunde erlebt. Aber die haben ja nicht bei mir gelebt und im TH war auch nie die Zeit, wirklich intensiv mit solchen Hunden zu arbeiten.
 
Das klingt wirklich nach Autismus, obwohl ich nicht weiß, ob es das bei Hunden gibt.
Ganz ehrlich, ich wäre mit so einem speziellen Hund überfordert.
 
Das klingt wirklich nach Autismus

Und mit dieser Erkenntnis bist du wesentlich schneller, als ich es damals war. :oops: Ich hab ewig herumgerätselt, an wen der Krümel mich so frappierend erinnert. Im Kopf bin ich alle möglichen Hunde durchgegangen, die ich bis dahin so erlebt hatte, völlig ohne Ergebnis. Es hat ganz schön gedauert, bis der Groschen gefallen ist, dass er mich gar nicht an einen Hund erinnert hat, sondern an ein Kind mit Asperger-Syndrom!

ich wäre mit so einem speziellen Hund überfordert.

Das kannst du so glaub ich gar nicht sagen. Hättest du mich vor Sandor gefragt, ich hätte auch Stein und Bein geschworen, das krieg ich niemals hin. Und ganz ehrlich gesagt, selbst heute noch hab ich immer wieder tiefe Zweifel. Aber: Wenn du so einen kleinen Kerl dann vor dir siehst, und ihn ja auch ganz doll lieb hast, dann geht es. Denn aufgeben kommt ja nicht in Frage, oder? :)
 
Sandor und Caro sind sich ähnlich. An ein Deprivationssyndrom bei ihr glaube ich auch nicht mehr – das wäre eine Beleidigung an alle Hunde, die wirklich darunter leiden. Caro kommt einfach zu gut in neuen Situationen zurecht und braucht einen Standardablauf. Wobei sie gerne nach der ersten Runde und nach der letzten ihr Essen haben möchte. :D
Sie zog am 28.02.2015 bei mir ein und wurde – laut Impfpass – am 16.04.2011 geboren.

Über Caros Vorgeschichte kann ich nur spekulieren. Wir holten sie aus Gelsenkirchen bei einen Paar ab, wo alle Möpse (inkl. Welpen) auf sie herum getrampelt sind. Caro hat alles über sich ergehen lassen. Mitleid ist ein schlechter Berater und so haben wir sie mitgenommen.
Caros Gesundheitszustand war alles andere als goldig. Leider war ich damals noch bei einen anderen TA, der das nicht erkannte und gegen meinen Willen (ich wollte die Tollwut 3-Jahres-Impfung, Chip, sowie den EU Ausweis) ihr die komplette Dröhnung gab. Ihre Ohren waren chronisch entzündet, ihre Hornhaut mit Pigmenten übersät, acht Zähne inkl. Wurzeln waren vergammelt … sie war und ist eine gesundheitliche Baustelle. Aber darum geht es ja in diesem Thread nicht. Wobei sie wahrscheinlich mindestens einen Wurf Welpen gehabt haben wird und sonst durch Scheinschwangerschaften andere Welpen miternährt hat. Ihr vielen mehrere Zitzen. Diese sind abgeknabbert worden und eine Wunde wurde wohl danach zusammengenäht.

Caro kannte gar nichts. Sie wusste nicht einmal, was ein Name ist. Ich habe es mit „Emma“, „Big J“ und den anderen Namen versucht, die ich beim Besuch aufgegriffen habe, aber „Cora“ reagierte einfach gar nicht. Da wir aber nicht „Cora die 1.021“ haben wollten, wurde sie zu einer Caro, wie es auch im Impfpass stand. Wir hatten uns einen sehbehinderten Kläffer ins Haus geholt. Sie kannte keine Straße, kein Rasen, keine Bäume, kein Busch. Was sie über alles liebte waren andere Hunde und Menschen. Sie war mit ihrer Umwelt komplett überfordert und wir mit ihr.
Über das intensive Markertraining lernte Caro, sich an uns zu orientieren, wenn ihr etwas unheimlich ist. Wir haben bei Caro das Glück, dass sie als Mops wirklich mutig ist und sich nicht verkrümmelt. Caro hatte schnell raus, dass Tricks lernen wahnsinnig viel Spaß macht und lernte recht schnell die Grundkommandos. In Ausnahme von „Platz“. Das brauchte ich zu Anfang nicht (und brauche ich im Alltag allgemein nicht), das lernte sie erst nach einen ¾ Jahr.

Nach 2.5 Jahren ist Caro immer noch kein „normaler“ Hund. Sie hat keine Frustrationstoleranz und wir haben unsere Ansprüche an einen Hund angepasst. Während Kiara ein netter Alltagsbegleiter ist und überall mit kann, ist dies mit Caro nicht möglich. Sie kann nicht mit ins Restaurant. Sie kann auch nicht mit für kleine Einkäufe. In Minden geht es inzwischen, aber an anderen Orten sind es ihr einfach zu viele Geräusche.

Als wir Caro geholt haben, habe ich gedacht, dass ich einiges über Hunde weiß. Nein. Das war nicht der Fall. Kiaras einzigen Baustellen waren der Jagdtrieb und das Leinenpöbeln. Kiara hat immer auf ihre Umgebung geachtet. Ich musste ihr nie sagen, dass sie erst gucken soll, ob da nicht gerade ein Radfahrer an ihr vorbei möchte. Caro hingegen achtet null auf die Umwelt (meine Aufgabe) und ist mir inzwischen zwei Mal von Radfahrern angefahren worden – zum Glück ohne Verletzung von Hund und Radfahrer.

Caro ist sehr Geräusch anfällig. Sie kann Kirchenglocken überhaupt nicht ausstehen, während sie beim Feuerwerk laut schnarchen kann. In der Wohnung bringt sie – bis auf die Kirchenglocken und Hundegebell von draußen – nichts aus der Ruhe. Wenn ich nach Hause komme, werde ich nur von Kiara begrüßt. Nach Caro darf ich dann suchen. Mit etwas Glück hebt sie ihren Kopf und guckt mich kurz an, bevor sie im Bett, auf der Couch oder im Körbchen weiter pennt.

In den 2.5 Jahren habe ich sehr viel über Hunde gelernt. Wie sie lernen, wie sie kommunizieren. Inzwischen kann ich auch von fremden Hunden die Körpersprache lesen und Kiara ist noch selten ein Leinenpöbler. Sehe ich, dass der andere Hund sie bedroht (und das machen echt viele), dann gehen wir einen Bogen und ich verhindere einen direkten Blickkontakt.

Caro ist nicht der Hund, den ich wollte, aber Caro ist der Hund, der mir die Augen geöffnet hat und mich viel gelernt hat. Zu Caro habe ich eine ganz andere Beziehung als zu Kiara, die im Alter von 12 Wochen bei mir einzog und bald 13 Jahre alt wird.

Auch wenn es Zeit, Nerven und Tränen gekostet hat, ich bereue es nicht, Caro aufgenommen zu haben.
 
Ich habe im näheren Bekanntenkreis ein Kind mit Asperger. ;)
Auf so einen Hund muss man sich außerordentlich einlassen. In einer fünfköpfigen Familie ist das so kaum möglich. Da ist auch der Grund, warum ich wirklich lange nach einem passenden Hund gesucht habe. Man muß seine Möglichkeiten realistisch einschätzen, sonst ist keinem gedient.
 
Das klingt wirklich nach Autismus, obwohl ich nicht weiß, ob es das bei Hunden gibt.
Ganz ehrlich, ich wäre mit so einem speziellen Hund überfordert.

Ja, das habe ich auch sofort gedacht. Freunde von uns haben ein autistisches Kind und da sind tatsächlich viele Parallelen. Bewundernswert, wie du damit umgehst! Ich glaube nicht, dass ich das könnte. Unsere ist ja manchmal auch speziell und z.B. auch schnell überfordert, wenn sie zu viele Eindrücke hat, weil sie das Bedürfnis hat, immer alles im Blick zu haben, aufzunehmen und zu verarbeiten. Und da muss ich sagen, dass ich da schon an meiner Grenze bin - nicht unbedingt nervlich, aber da fehlt mir in vielerlei Hinsicht einfach die Erfahrung und Routine, ich bin ja absoluter Hundeanfänger. Wir machen schon riesige Fortschritte und man wächst ja auch immer mit seinen Aufgaben, aber viel mehr „Spezielles“ ginge bei mir, glaube ich, mangels Erfahrung trotzdem nicht, da würde dann auch einfach der Hund drunter leiden. Von daher ist es auch ein großes Glück für deinen Sandor, dass er an dich geraten ist!
 



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