Verdienst und Schuld - oder doch nicht?

Zuerst einmal sorry für diesen merkwürdigen Titel - aber mir ist nix besseres dazu eingefallen.

Worum es mir hier geht ist die Beobachtung, wie sehr sich der Grundsatz "es liegt immer alles nur am Halter" auswirkt. In beide Richtungen, und in einem Ausmaß das ich oft einfach nicht mehr nachvollziehen kann.

Klar, als Hundehalter hat man eine Menge Einfluss. Man kann durch blöde Behandlung selbst tolle Hunde "versauen", und durch entsprechendes Bemühen auch bei schwierigen Hunden einiges erreichen. Aber die Absolutheit, in der das oft vertreten wird, da hab ich dann doch meine Zweifel. Gerade jetzt im Maulkorbthema ist mir das mal wieder aufgefallen. Vereinfacht gesagt kam da die These, sorgt von Anfang an für eine gute Bindung, dann passt das schon - hat bei mir auch immer geklappt. Hm - sollte es wirklich so einfach sein? Halter macht alles richtig, Hund ist problemlos und toll? Und umgekehrt, Hund benimmt sich blöd, also hat der Halter es offenbar komplett verbockt?

Dazu bin ich in Gedanken meine bisherigen Hunde durchgegangen, und dieses Resumee hat meine Zweifel eher vertieft. Zu allen hatte ich eine sehr innige Bindung, dennoch waren sie sehr verschieden. Glenny war Mr. Sozialkompetenz, immer freundlich, offen, mit ihm konnte man alles machen, er kam in jeder Lebenslage klar, einfach ein Traum. Dafür musste ich nicht sonderlich viel tun, er war einfach ein toller Hund! Deshalb käme es mir auch nicht in den Sinn, mir das selbst als Verdienst an die Brust zu heften. Klar hätte ich es auch versauen können, aber so lange ich das nicht gemacht habe war der Rest einfach seinem tollen Wesen geschuldet. Und nicht meinem überragenden Hundeverstand. Umgekehrt ist Sandor alles andere als einfach. Obwohl er zu mir mittlerweile ein riesiges Vertrauen hat wird er niemals wirklich umweltsicher sein. Da ich aber weiß, wie viel ich in seine Entwicklung schon investiert habe, weigere ich mich auch das als meine Schuld zu sehen. Vielmehr brachte und bringt er einfach eine Menge an Problematik mit sich, die auch mit dem besten Engagement niemals zu beseitigen sein wird.

Natürlich ist es verlockend, die gute Entwicklung der eigenen Hunde als persönliches Verdienst zu sehen und anderen gegenüber entsprechend selbstgerecht aufzutreten. Dahinter immer der Gedanke, hätten die es genauso gut gemacht wie man selbst, dann wäre schließlich auch was gescheites dabei rausgekommen! Dazu passend dann auch die ebenso große Versuchung, über das konfliktreichere Verhalten anderer Hunde entsprechend zu urteilen: Was hat der Hundehalter da wohl alles falsch gemacht?! Nur frage ich mich, ob das nicht deutlich zu kurz greift. Zumindest meine persönliche Erfahrung ist jedenfalls, dass ich für meinen Traumhund Glenny kaum was investieren musste, während Sandor trotz vollen Einsatzes an Energie und Hintergrundwissen immer schwierig bleiben wird. Und das passt irgendwie zu der o.g. Grundhaltung so rein gar nicht.

Wie seht ihr das denn, generell und aus eigener Erfahrung?
 
Die Aussage "es liegt immer am Halter" finde ich persönlich total daneben. Hunde bzw. Tiere sind selbständige Lebewesen. Jedes ist ein Individuum. Natürlich kann ein Halter vieles dazu beitragen, dass sein Hund in verschiedenen Situationen so funktioniert, wie er es gerne hätte, aber es kann dann doch auch mal ganz plötzlich umschlagen und dann kommen Sprüche wie "ja sowas hat er ja noch nie gemacht". Und ja auch ich hab das schon mal gesagt, nicht als Ausrede, sondern weil ich da wirklich überrascht war, wie Felix da reagierte. Dennoch gebe ich mir da nicht die Schuld. Mein Hund tickt so wie er tickt und das liegt sicherlich nicht nur an meinen Fähigkeiten oder an meinen Versagen, (je nach Situation), sondern ist auch, gerade bei uns, Rasse bedingt.
Da spielt so vieles mit rein. Nicht nur die Erziehung durch den Halter, sondern auch das Wesen des Hundes.
 
Ich habe für mich festgestellt: Genetik ist der Grundstein. Man kann der beste und tollste Hundemensch sein, stimmt die Genetik nicht, kann man nur Management betreiben.

Ich kenne die Sprüche „alles Sozialisierung, Bindung und Erziehung“ auch. Die Menschen die Sie klopfen haben in der Regel 1-5 Hunde gehabt, irgendwelche netten, führigen Hunde.
Wirkliche Charakterhunde sind ihnen fremd.

Oft fehlt es auch einfach an der Reflexion.
Hier läuft z.B. ein Typ rum, dessen Hund immer und überall frei läuft. Er verspottet regelmäßig die Leinengänger. Die könnten alle nur nicht ihre Hunde erziehen. Das ihm bereits drei Hunde tot gefahren wurden, ignoriert er.
Ebenso kenne ich Leute, die sich dann einen Charakterhund (aktuell sehr beliebt Mali aus KNPV-Linien) kaufen und nach drei Tagen heulen, weil völlig überfordert. Nach sechs Monaten hat der Hund den ersten Beißvorfall hinter sich und kommt weg...

Und dann halt 2nd Hand. Bekomme ich einen Hund als Welpen, ist das eine Sache. Aber einen erwachsenen Hund? Man kann nicht jahrelange Traumata durch ein bissl Bindung los werden.
 
Ich glaube man kann mit Erziehung viel erreichen aber nicht alle Probleme lösen. Und nur mit Bindungsaufbau bekommt man keinen unkomplizierten Hund.

Es gibt leichtführige Hunde bei denen die Hundehalter nicht viel Erziehung aufwenden müssen und Hunde die trotz viel Investition die eine oder andere „Baustelle“ behalten werden.

Ich bin froh wenn die unkomplizierten Hunde bei den Hundehaltern leben die sich nicht viel mit der Hundeerziehung beschäftigen. Bei manchem Hund/Menschteam die mir so begegnen denke ich mir wenn der Hund nicht so freundlich wäre dann würde es öfters zu unangenehmen Momenten kommen, nicht nur für meine Hunde. Und andererseits bin ich froh wenn die nicht ganz so einfachen Hunde von ihren Haltern gut gehändelt werden.

Meiner Meinung nach liegt es nicht immer nur am Halter. Manche Hundehalter haben immer wieder Hunde die ohne viel Erziehung "mitlaufen". Die wären bei jedem anderen Hundehalter aber genauso. Besonders beeindruckend finde ich Hunde die aus schlechter Haltung kommen und trotzdem keine großen charakterlichen Baustellen mitbringen.
 
Ich persönlich würde das viel differenzierter sehen, als zu fragen "ist es nur der Halter", "ist es nur der Hund", "ist es nur die Genetik", etc.

Beginnen tut die Sache sicherlich mit der Genetik und da reden wir noch gar nicht von irgendwelchen Linien oder wesensschwachen Eltern, sondern rein mal von der Passform: Rasse - Halteransprüche ... denn natürlich gibt es Rassen, mit denen man es so grundlegend einfacher hat, als mit anderen - dh aber nicht, dass diese Rassen bei jedermann glücklich und perfekt werden und umgekehrt.

Dann kommt eine Vorgeschichte dazu - wie Maeusele schon sagte: nehme ich einen erwachsenen Hund, hat der evtl. ein Päckchen mitgebracht oder bekomme ich einen Welpen vom Züchter? ...dann auch noch: war der Züchter mehr oder weniger gut für den Welpen?

Auch die Umwelt spielt eine Rolle - ich kenne das Leben mit anspruchsvollen Hunden sowohl in der Großstadt, als auch am Land. Da liegen einfach Welten dazwischen und zwar nicht nur deshalb, weil es für den Menschen viel gemütlicher ist am Land mit Hund unterwegs zu sein. Ein umweltunsicherer/reaktiver/... Hund in der Großstadt muss für jeden simplen Gassigang in den Trubel hinaus. Dh der holt sich täglich seine regelmäßigen Portionen Stress, das lässt sich kaum vermeiden. Demselben Hund in der Pampa muss man im täglichen Trott viel weniger zumuten, dadurch kann der in seinem gesamten Stresslevel mal runter fahren, man kann ihn viel gezielter langsam an Dinge heranführen und Erfolge stellen sich viel schneller ein.

Auch die schon erwähnten Halteransprüche spielen eine Rolle... viele Leute verstehen völlig unterschiedliche Dinge unter "verträglich", "kann ohne Leine laufen", "geht nicht jagen", "zieht nicht an der Leine", "ist aggressiv", etc. Insofern ist allein schon die Ausgangslage in der Beurteilung völlig unterschiedlich. Da bringt es nichts sich über das Urteil anderer Gedanken zu machen, man sollte sich aber auch an der Nase nehmen und nicht zuviel urteilen.

Der Halter selbst ist aber nun auch kein völlig unerheblicher Faktor. Ich habe schon zu oft erlebt, wie schnell und massiv sich Hunde in ihrem Verhalten wandeln, wenn nur eine andere Person die Leine hält. Ich habe das mittlerweile so oft in mannigfaltigen Situationen, ob langfristig oder kurzfristig, ob wegen Kleinigkeiten oder weniger kleinen Sachen, erlebt, dass ich nie behaupten würde, der Halter sei nicht relevant für das Verhalten eines Hundes. Das heißt aber nicht, dass gleich jeder Halter, dessen Hund sich mal daneben benimmt, unfähig oder selbst Schuld ist.

Für mich ist das Ganze immer eine Sache des Gesamtpaketes. Je mehr Faktoren günstig stehen und zusammen passen, umso besser läuft es und umgekehrt. Wogegen ich mich aber vehement wehre, ist das recht weit verbreitete Ausreden suchen (ich rede jetzt nicht vom Forum). Das geht von "diese Rasse kann man nicht erziehen" bis zu "er hat ganz sicher ein Deprivationssyndrom". Ich stehe dem Ganzen mittlerweile wesentlich toleranter gegenüber, als früher, weil ich mir immer wieder sage, dass jeder nur seine Erfahrungswerte hat und ich froh bin, wenn die meisten gar nicht wissen, wie ein wirklich deprivierter Hund beinand sein kann. Ich gebe aber zu meine Toleranz hat Grenzen, zB dort wo vielfach zertifizierte Trainer einen Hund haben, den sie im Alter von 5 Wochen mit Mutter übernommen haben, den einen Welpen behalten haben, der Hund im Alter von 4 immer noch völlig neben der Spur ist und sie das dann auf "Deprivation" schieben. Da heißt es bei mir dann immer noch "einatmen, ausatmen, lächeln, nicken, Klappe halten" statt zu sagen, was ich mir denke (was wäre "nö, es ist halt ein Pittie und du bist nicht der richtige Mensch für den Hund, weil du viel zu sehr herumscheißt").

Das Problem, das ich mit diesen Ausreden habe, ist, dass sie sehr oft zu Ohnmacht führen... jemand oder etwas anderes ist für die Situation verantwortlich, man kann sich zurücklehnen, weil kann man eben nix machen. Ja, dann war halt die Genetik oder die Aufzucht Scheiße - tun kann man aber immer was. Man wird die Grenzen eines jeden Hundes anerkennen müssen, aber dh nicht, dass man sich nicht innerhalb dieser Grenzen gut bewegen kann. Und meiner persönlichen Erfahrung nach geht oft viel mehr, als man Anfangs denken würde - dazu muss man es aber versuchen und nicht in "geht sowieso nicht" versinken. Sinn macht es dabei aber auch sich nicht mit anderen zu vergleichen oder den Hund mit anderen Hunden, sondern immer nur zu sehen: Wo sind wir? Wo möchten wir im idealsten Fall hin? Wie könnte das gehen? Welche Fortschritte haben wir schon gemacht? Wo müssen wir noch was tun? ... in Ohnmacht zu versinken, weil andere scheinbar perfekte Hunde haben, ist sinnfrei. Abgesehen davon ist ganz sicher kein Hund perfekt ;)
 
durch ein bissl Bindung los werden.
Entweder eine richtige Bindung und zwar in beiden Richtungen, oder gar keine.
Ein bissl Bindung ist mir DAS bissl zu wenig.
Und dem Hund auch!

Jo @Blumenfee
Das scheint alles recht schlüssig zu sein.
Wobei ich dem Großstadt Hund nicht so viel Stress andichten würde wie du es machst.
Wenn der als Welpe in die Stadtwohnung kommt, dort aufwächst, woher soll der Stress kommen, außer vom Menschen, der aus jedem Gassigang ein Mordsspektakelum macht, womit ich wieder beim Titel bin.
 
Zuletzt bearbeitet:
woher soll der Stress kommen

Durch die Menge an Reizen, die ein Hund verarbeiten muss? Die Kapazität, wie viele Reize ein Hund jeweils bewältigen kann ohne in Stress zu geraten, ist nur zum Teil erlernbar, zum Teil aber auch durch Genetik und Frühprägung (das Gehirn reift ja während der ersten Zeit beim Züchter noch erheblich - oder eben auch weniger) vorgegeben. Und so kann es durchaus sein, dass der gleiche Hund ein Leben in ruhiger Umgebung völlig problemlos bewältigen kann, während er mit einem Leben voll ständig neuer Geräusche, Menschen, Hundebegegnungen, Verkehrt etc. eben nicht mehr gewuppt bekommt. Und da kann die frühe Gewöhnung eben nur einen Teil abfangen.

Aber genau diese Grundhaltung ist es, um die es mir hier im Thema geht: Der Hund könnte das ja alles, der Halter hat es verdorben indem er ein Mordsspektakulum macht, dass ein Hund von sich aus weniger Stressresistenz mitbringt ist angedichtet...

Das Problem, das ich mit diesen Ausreden habe, ist, dass sie sehr oft zu Ohnmacht führen

Da gebe ich dir recht, das habe ich auch schon öfter mitbekommen. Und es ist immer wieder schade, wenn Begründungen zum Vorwand genommen werden, sich zurückzulehnen. Andererseits können aber natürlich auch Schuld- bzw. Versagensgefühle ebenfalls massiv blockieren, weil sie demjenigen das Selbstvertrauen und die Handlungsfähigkeit nehmen. Gar nicht so einfach, da eine richtige Balance herzustellen.
 
Aber genau diese Grundhaltung ist es, um die es mir hier im Thema geht: Der Hund könnte das ja alles, der Halter hat es verdorben indem er ein Mordsspektakulum macht, dass ein Hund von sich aus weniger Stressresistenz mitbringt ist angedichtet...

Also wenn der Thread primär wegen den Aussagen desselben Users entstanden ist, kann ich dir nur einen Rat geben. Lass dich nicht provozieren und sollte dir das schwer fallen: Setz den User auf deine Ignore-Liste ;)
 
"Es liegt am Halter" lese/höre ich persönlich als Synonym für: es liegt in der Verantwortung des Menschen mit der Persönlichkeit des jeweiligen Hundes angemessen umzugehen.

Es gibt z.B. Hunde, die sobald sie erwachsen sind keine große Lust mehr auf fremde Hunde oder fremde Menschen haben. Andererseits gibt es Hunde, die ein Leben lang der Meinung sind, dass jedes andere Lebewesen ihr persönliches Spielzeug sei.

Es liegt in beiden genannten Beispielen in der Verantwortung des Halters, solche Hunde umweltverträglich durchs Leben zu führen und dafür zu sorgen, dass weder der erste Hund die Hundewiesenspielgruppe aufmischt noch der zweite Hund jeden Fremden mit seinem verspielten Übermut zwangsbeglückt. Das ist für mich der entscheidende Inhalt des Satzes "es liegt immer am Halter".
 



Hundeforum.com - Partnerseiten :
Heilkundeforum.com | Veggieforum.de | Herrchen-sucht-Frauchen.de

Hundeforum.com ⇒ Das freie & unabhängige Hundeforum unterstützen:

Zurück
Oben