ich habt ihr das in den Griff bekommen?
Meinst Du, wie wir unsere Unsicherheit in den Griff bekommen haben?
Gesunde Eigen- und Fremdreflektion und Erfahrungen sammeln.
Inzwischen sehe ich eine wichtige Aufgabe für mich, meinem Hund ein Ruhepol zu sein. Klar albern und toben wir auch mal rum. Aber wenn er sich aufregt, darf ich mich auf gar keinen Fall auch aufregen.
Früher habe ich z. B. hinter ihm hergemeckert und teilweise geschrien, wenn er ins Unterholz jagen gegangen ist. Er hat meine Worte ja nicht verstanden, nur mitgekriegt, dass ich auch aufgeregt bin. Darum ist das Rückrufkommando auch ein Pfiff geworden. Der ist laut, aber unemotional. Wenn er heute nochmal wenige Meter vom Weg abkommt, weil ihn da irgendetwas reizt (Geruch, Geräusch, Anblick), dann bleibe ich teilweise einfach nur stehen bleibe entspannt (auch meine Atmung ist dabei wichtig). Inzwischen orientiert er sich sehr mittels Blicken an mir, so dass ich ihn dann meist körpersprachlich zu mir hole. Ab und an kommt von mir auch ein lockeres "Na komm" und ich gehe einfach weiter. War Jagen früher leider an der Tagesordnung (er ging im ersten Jahr fast nur abseits des Weges - ich weiß, total unverantwortlich von mir), ist es heute fast kein Thema mehr. Letzten Monat war er bei mir, ich glaube, 2x für wenige Sekunden im Unterholz. Wechselt heute ein Reh plötzlich die Seite und springt über den Weg, rennt er zwar den Weg runter, schaut aber dann vom Weg aus nur ins Unterholz dem Reh hinterher.
Diese Unangespanntheit musste ich mir aber lange erarbeiten, weil man ja in vielen Situationen z. B. die Gesetze der Menschen und seine Verantwortung bei der Hundeführung im Hinterkopf hat. (Er darf nicht jagen, er soll nicht zu angeleinten Hunden laufen, er soll nicht zu fremden Menschen laufen, er darf nicht in bewirtschaftete Felder oder auf andere landwirtschaftliche Nutzflächen, Leinenpöbelei ist peinlich, und und und.) Mit diesem ganzen Balast im Hinterkopf ist's manchmal schwierig, locker zu bleiben.
Gerade die anfängliche Unsicherheit beim Fremdhundkontakt, besonders wenn der Weg nicht sehr breit war, hatte ein hohes Stresspotential. Für ihn und für uns. Heute kann ich locker bleiben, er geht ins Sitz, ich hocke mich auf die Fremdhund zugewandte Seite und wir lassen dann passieren. Wenn er dann doch nochmal pöbelt, bleibe ich entspannt, das Thema Peinlichkeit habe ich schon lange ad acta gelegt. Meist bitte ich dann mein Gegenüber, die Passage zu wiederholen. Natürlich nur, wenn der Mensch das für sich und seinen Hund auch möchte. Es ist ein höfliches Nachragen. Ich gehe also bewusst in die Situation, die ich früher krampfhaft vermeiden wollte. Bei der zweiten Passage bleibt mein Hund dann zu 99,9% auch ruhig. Und da der Mensch mit seinem Hund ja zurückgegangen ist, kommt es noch zu einer dritten Passage.
Über diese Verhaltensumstellung meinerseits hat sich auch mein Hund entspannen können und sein Stresslevel sank deutlichst. Ganz zu Anfang war ich noch so naiv, dass ich angeleint wie unangeleint, meinen Hund zu allem und jedem hingelassen habe. Somit hatte ich ihm unbewusst auch das Mangagement aller Begegnungen übergeben. Und damit war er bzw. musste er ja überfordert sein.
Wie in meiner Signatur steht: Ruhig und verlässlich - meine aktuelle Philosophie beim Umgang mit dem Hund. So haben wir es inzwischen erreichen können (mit ca. 75% Trefferquote), dass er von alleine zu mir kommt, wenn von vorne Spaziergänger kommen. Bei den restlichen 25% gibt's dann halt eine freundliche Erinnerung (ein kurzes Zungeschnalzen für seine Aufmerksamkeit zu mir, ein Blick neben mich, damit er weiß, wo er hin soll).
Auch beim Fremdhundekontakt meinerseits wirkt sich diese Verhaltensänderung aus. Früher "musste" ich jeden Hund auch anfassen. Wenn einer mich ansprang war ich auch immer mit aufgeregt, wenn es zwischen den Hunden nicht so klappte, wurde ich immer schnell hektisch. Heute fasse ich nur noch selten andere Hunde an, bleibe in allen Situationen ruhig und vor allem still. Dieses ständige Geplapper von Hundebesitzern habe ich mir ebenfalls (zu großen Teilen - manchmal bricht's dann doch noch hervor) abgewöhnt.
Somit erlebe ich in letzter Zeit beim langen Spaziergang im Wald mit meinem Hund Phasen der Tiefenentspannung. Es blitzt meist nur für Sekunden auf, aber dann macht sich ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit und Ausgeglichenheit breit. Es ist eine Art Engelskreis (Gegenteil von Teufelskreis, wenn es diesen Begriff überhaupt gibt), den mein Hund und ich bilden. Ich stelle für ihn einen Ruhepol dar, er entspannt sich dadurch, was sich wieder auf mich reflektiert etc.
Es war ein langer Weg dahin und ich bin gespannt, wie er weitergeht.
LG
Matthias