Der Whippet: Zwei Seelen wohnen in seiner Brust

Erster Hund
Hermes / Whippet (9)
Zweiter Hund
En-Lil / Whippet (4)
Ich wurde in meiner Vorstellung gebeten, doch etwas über Windhunde im Allgemeinen und den Whippet im speziellen zu erzählen. Diese Bitte komme ich natürlich gerne nach. stellt mir bitte gerne konkrete Fragen, ich werde mich bemühen, sie so gut wie möglich zu beantworten.

Sowohl mein Freund, als auch ich sind Menschen, die jede Entscheidung gründlich durchdenken müssen. Drum haben wir uns lange lange Gedanken gemacht, welche Rasse bei uns einziehen soll. Wir hatte eine lange Liste, was wir einem Hund bieten können (oder auch nicht) und eine lange Liste, was ein Hund für uns mitbringen muss. Mein Freund liebäugelte mit einem Saarloos Wolfhund, ich eher mit einem Dobermann, oder Sheltie,.. rausgekommen sind wir beim Whippet und haben die Wahl bis heute keine Sekunde bereut :)

Wir sind also zu einer Züchterin gefahren, extra als sie gerade keine Welpen hatte, weil wir ja noch nie einen Whippet live gesehen hatten, und waren sofort verzaubert. An der Tür kamen uns 8 aufgeregte Springbälle entgegen, die uns unter gelegentlichem Bellen begrüßten. Wir gingen ins Wohnzimmer und von einer Minute auf die nächste waren 8 Hunde in einem Zimmer ganz einfach verschwunden. Man hat sie nicht mehr gehört und nicht mehr gesehen.

Der Whippet hat nur einen An/Aus Knopf. Entweder sie liegen im Eck und schlafen, oder sie geben Vollgas. Es gibt eigentlich nichts dazwischen. Einer nach dem anderen kam, katzengleich, auf leisen Sohlen bei uns vorbeigeschlichen, begutachtete uns zurückhaltend und ging wieder. In einer Gesellschaft, wo man hauptsächlich distanzlose Labbys kennt, eine ganz neue Erfahrung. Spätestens da, war unsere Entscheidung gefallen. Da wir (auch nach wie vor) von der Züchterin und ihrem Rudel begeistert und überzeugt waren, meldeten wir uns für den nächsten Wurf an, bekamen somit von der Läufigkeit und dem Decken (nicht live natürlich) alles mit. Das erste Mal gesehen haben wir unseren Buben mit 2 Wochen. Mit 10 Wochen zog er ein.

Hermes stammt aus der Verpaarung einer sehr sehr hibbeligen Mutter mit einem sehr souveränen Rüden und unterscheidet sich deshalb auch ein Bisschen von einem 'Standard-Whippet', also man kann nicht alles was er so treibt verallgemeinern.
Seine Mutter wurde zwei Wochen vor der Geburt von einem anderen Hund in den Rücken gebissen und verlor daraufhin 3 der 5 Welpen. Hermes und sein verbleibender Bruder mussten geholt werden. Wie die Wissenschaft heute weiß, wirkt sich sowas bereits auf die Belastbarkeit der Welpen aus. Hermes und sein Bruder wurden recht untypische Duracellhasen und wenigstens Hermes kämpft mit einem extrem dünnen Nervenkostüm.

Gesundheit:
Windhunde an sich haben so gut wie mit keinen Erbkrankheiten zu kämpfen. Beim Whippet gibt es ein 'Bully'-Syndrom, das ein vermehrtes Muskelwachstum zur folge hat. Es gibt einen sehr bekannten Whippet namens Wendy, da kann man das gut sehen. In Europa gilt die Krankheit aber als ausgerottet und alle Whippets, die in die Zucht gehen, müssen darauf getestet sein.
Ein bestimmter Herzfehler tauch wohl auch immer mal wieder auf, damit kenn ich mich aber nicht gut aus. Wir werden Hermes trotzdem bei Gelegenheit mal schallen lassen, nur um Bescheid zu wissen. Ab und zu kommt es deshalb wohl vor, dass der Hund einfach beim Laufen umfällt und stirbt.

Windhunde haben andere Blutwerte als 'normale' Hunde. Als Windhundbesitzer sollte man sich damit unbedingt auskennen, denn viele Tierärzte wissen das nicht. Häufig werden Windhunde wegen der Auffälligkeiten im Blutbild behandelt, weil einfach nicht bekannt ist, dass die Werte anders sein müssen. Ich würde jedem Halter eines Windhundes / Windhund-Mixes mal empfehlen beim gesunden Hund ein Blutbild machen zu lassen, gerade bei Mixen, dass man weiß, was für den eigenen Hund normale Werte sind.
Weiße Blutkörperchen, Blutplättchen, Thrombozyten, Gesamteiweiß, T4 Thyroxin und Globulin hat deutlich geringere Werte.
Bei roten Blutkörperchen, Hämoglobin und Hämatokrit liegen die Werte deutlich über anderen Rassen.
Auch bei Medikamenten, die über das Fettgewebe abgebaut werden, muss man vorsichtig sein, da Windhunde kein Unterhautfettgewebe besitzen. Der Wirkstoff geht also direkt ins Blut und dann direkt in Leber/Niere. Solche Medikamente müssen viel niedriger dosiert werden.
Leider achten da auch viele nicht drauf und es sterben auch heute noch viele Windhunde auf dem OP-Tisch, weil sie einfach nicht mehr aufwachen.

Man unterscheidet bei Windhunden ganz grob zwei Schläge: den Orientalen Typ, (Saluki, Sloughi, Azawakh, Afghane...) das sind die mit den Schlappohren und das sind Langstreckenläufer, meist zur selbstständigen Gazellenjagd eingesetzt. Orientalen sind sehr eigenständig und gelten als schwierig zu erziehen.
Und den Okzidentalen Typ, (Greyhound, Deerhound, Whippet...) das sind die mit den Rosenohren. Sie sind die Sprinter und die schnellsten Hunde der Welt. Alle Windhunde jagen eigenständig und auf Sicht, allerdings sind die okzidentalen doch durchaus kooperationsbereiter als ihre orientalischen Verwandten.

Der Whippet wurde vor allem zur Kaninchen-Wilderei vom 'kleinen Mann' gezüchtet. (Greyhounds waren dem Adel vorbehalten) Außerdem nahmen sie an Rennen teil, wo sie auf ihren Halter zulaufen sollten und sie gaben Nachts im Bett die Wärmflasche. Der Whippet möchte also immer und überall dabei sein. Das kann er aber auch, weil er so gut wie nicht bellt, aufgrund der reduzierten Anzahl von Talgdrüsen und dem feinen Fell auch kaum Eigengeruch hat und, so steht es in einigen Rassebeschreibungen 'sich zu benehmen weiß'. Das ist auch wirklich wahr. Wie man sich in der Gesellschaft verhält, mussten wir dem Hermes nie beibringen, er ist immer höflich zurückhaltend und distanziert.

Auch tolle Eigenschaften: Distanziert zu Fremden, zurückhaltend, leise, nicht verfressen.

Ansonsten: seeehr sensibel. Hermes ist ein wahrer Klotz unter den Whippets, der kann einiges ab, aber der Whippet einer Bekannten bricht manchmal schon zusammen, wenn man ihn nur schief anschaut... Ist man ärgerlich, verschwindet der Whippet und taucht erst wieder auf, wenn man sich beruhigt hat. Reagiert auf Stress auch schnell mit Durchfall.

Erst dachten wir: Hund ist Hund und kann auch so ausgebildet werden. Da stießen wir aber ganz schnell auf die ersten Probleme. Der Whippet möchte (wie viele eigenständige Rassen) verstehen, warum er etwas machen soll. Ergibt es für ihn keinen Sinn und wird man dann ruppig, stellt er die Zusammenarbeit komplett ein.
Oft lassen sich Windhunde nur schlecht über Futter motivieren, sind oft eher schwerfuttrig und mäkelig, dafür ist es für sie ein tolles Lob, wenn man stolz auf sie ist. Sie sind so sensibel, dass sie das wahrnehmen. Läuft Hermes schön 'Fuß' und man sieht das und freut sich, merkt man, wie der Hund sich verändert, Ausdruck gewinnt, noch etwas strammer marschiert. Man lernt wirklich, sich der Nuancen seiner Körpersprache und seiner Emotionen bewusst zu werden, weil der Hund sofort drauf reagiert.

Oder wenn er z.B. Pansen gefüttert bekommt, ich finde das ekelig ^^. Lasse ich aber meinem Abscheu zu freien Lauf, kann es passieren, dass Hermes es nicht anrührt. Dann muss Herrchen kommen und sich über den tollen Pansen freuen, dass er frisst.

So, jetzt hab ich einen Roman geschrieben und den Überblick verloren.
Wie gesagt, fragt doch einfach, was euch so interessiert :)

LG
 
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Toller, ausführlicher Bericht....in vielem konnte ich meinen Spanischen Strassenmix wieder erkennen ...ich glaube ich habe einen Whippetcharakter in Gestalt eines Mixes :jawoll: (Podenco, Galgo, Ratanero und alles was so auf andalusischen Straßen rumfleucht...)
 
Toller Bericht. :zustimmung:

Ich erkenne meinen Hermann bei der Beschreibung, dass Whippets sehr sensibe und Futtermäkelig sind. Die ersten Monate bei mir hat er sehr schlecht gefressen. Und er möchte jedes ruppige Spiel zwischen meinen anderen Hunden schlichten.

Und kuscheln liebt er und möchte am liebsten immer auf dem Schoß sitzen. Er hat Glück, dass er nur 5 Kilo wiegt.:happy33:

Kannst du Hermes mit "Nicht-Windhunden" spielen lasssen? Ich wollte als 3. Hund einen Galgo und habe ein bisschen recherchiert und manche Galgo-Besitzer meinten, dass Galgos (grundsätzlich "Windige"?) bei kleinen Hunden (meine anderen beiden wiegen 7 bzw. 8 Kilo) ins Beutefangverhalten "kippen", sie also mit den Zähnen festhalten. Hast du diese Erfahrung mit Hermes gemacht?

Sind die "Windigen" wirklich so "Rudelgeeignet" und verträglich mit anderen Hunden?

Kannst du Hermes außerhalb von Windhundausläufen frei laufen lassen?

Sorry, dass ich so viele Fragen stelle aber die "Windigen" faszinieren mich weil sie Katzengleich und zurückhaltend sein sollen. Irgendwann zieht hier ein Windhund ein.:jawoll:
 
Ich weiß nicht, ob man es merkt, aber ich referiere gerne über Windhunde :happy33:

Zu den Fragen:

Wir haben Hermes ja mit 10 Wochen bekommen und wussten, worauf wir uns einlassen. Uns war es enorm wichtig, dass er von klein auf, viel Kontakt zu anderen Hunderassen hat und sie kennen lernt. Durch ihren Körperbau kommunizieren Windige etwas anders als 'normale' Hunde. Die abgekippte Hüfte, die tief getragene Rute, die zurück geklappten Ohren, vermitteln anderen Hunden (und Haltern) oft, dass Windhunde per se ängstlich sind. Was häufig aber überhaupt nicht der Fall ist, vor allem, wenn sie nicht aus dem Tierschutz kommen. Drückt ein Windhund also durch seine Haltung Unsicherheit aus, verhält sich aber nicht entsprechend, kann das durchaus zu Verwirrung bei den Gegenübern führen.
Also: Sowohl ein Windhund muss lernen andere Hundetypen zu lesen, als auch andere Hundetypen lernen müssen einen Windhund zu lesen.
Hermes kann problemlos mit allen anderen Hunderassen spielen.
Aber es stimmt schon. Windhunde neigen zu Rassismus. Da sie, gerade im Haus, ausgesprochen sanfte, unproblematische Naturen sind, sieht man häufig Windhundhalter, die sich ein ganzes Rudel halten. Natürlich spielen Windhunde mit Windhunden auf eine ganz andere Art und sind nicht so sehr an anderen Hunden interessiert, wenn sie jemanden nach ihrer Kragenweite zum spielen haben. Wenn dann die Windigen nur noch windigen Kontakt haben, stellt sich schnell Rassismus ein.

Auch bei uns soll irgendwann ein Zweit-Whippet einziehen und wir gehen fest davon aus, dass wir die beiden dann nicht gemeinsam mit anderen Hunden laufen lassen können. Ich vermute sie würden ins Mobben verfallen. Hermes würde auf jeden Fall dazu tendieren, wenn er noch einen Wingman dabei hat.

Ja auch uns wurde oft gesagt 'Vorsicht bei kleinen Hunden, der verfällt ins Jagdverhalten!'. Was bei Hermes aber NIE der Fall war. Ich schiebe das auch auf eine ordentliche Sozialisierung. Eine Bekannte mit Ex-Racer Greyhounds erzählte aber, dass ihren das schon passiert und auch Galgos die aus Spanien kommen und gejagt haben, würde ich mit Vorsicht genießen.

Rudelgeeignet? Auf jeden Fall. Ich bin immer wieder erstaunt, wenn man irgendwo hinkommt, wo viele Windhunde auf einen Fleck zusammentreffen. Sei es Windhundauslauf, Ausstellung, oder Windhundfestival. Es gibt eigentlich nie Probleme. Ganz im Gegenteil. Wenn der Hermes irgendwo einen Windhund sieht, ist er gleich ganz aufgeregt und freut sich. Windhunde erkennen sich auch sofort. Aber auch gemischte Rudel sind sicher kein Problem. Für den Whippet ist Kontaktliegen essenziell. Am liebsten mit anderen Hunden, notfalls aber auch mit Menschen ^^

Ja, Hermes läuft draußen fast nur frei. Für uns war klar, dass es nicht unserer Vorstellung von Hundehaltung entspricht, einen Hund nur an der Leine zu haben. Anfangs dachte ich: ok, er muss halt an der Leine bleiben und darf an ausgewählten Ecken frei laufen. Mittlerweile hat er all unsere kühnsten Erwartungen übertroffen und läuft fast nur noch frei. Natürlich nicht an der Straße, aber sonst schon.
Aber: Wir haben von klein auf massiv an der Impulskontrolle gearbeitet. Er lief 15 Monate konsequent und ohne Ausnahme an der Schleppleine und wir haben Aktiv Wild gesucht und ihn damit konfrontiert. Gerade mein Freund hat da so unglaublich viel Zeit und Arbeit investiert und darf nun die Früchte ernten. :)

wir sind leider mittlerweile zu der Überzeugung gekommen, dass Windhunde sehr missverstanden sind. Dass sie von vorne herein als unerziehbar und nicht ableinbar gelten. Dass viele meinen 'einmal die Woche coursen, dann ist der Hund glücklich' und ansonsten verblöden sie auf dem Sofa.

Hermes ist ein schlaues Kerlchen. Wir haben mal Mantrailen probiert, was er echt toll macht, aber zeitlich leider nicht so hinhaut. Ich mach mit ihm seit ein paar Monaten Rallye Obedience und er stellt sich echt super an, natürlich nicht im Vergleich zu einem Hüter, aber für einen Windhund sehr ordentlich und mein Freund wird mit ihm im Sommer die BH laufen.

Whippets sind super arbeitsfreudige, clevere Kobolde, mit denen man so viel mehr unternehmen kann, als Ausstellen, coursen und an der kurzen Leine spazieren führen...
 
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Schöner Bericht.
Ich liebe Windhunde:girllove:
Leider (oder zum Glück?) sieht man sie nicht häufig. Sind bestimmt nicht für jeden geeignet. In der Praxis haben wir bloß zwei Windhunde. Einen Saluki und einen Whippet. Wunderschön!
Wenn ich mal welche sehen möchte, gehe ich zur Rennbahn bei mir um die Ecke.
Irgendwann zieht sicher auch mal ein Windhund bei mir ein. Am wahrscheinlichsten ein Italienisches Windspiel :girllove:
 
Vielen Dank für die ausführlichen Antwort. Ich hätte am liebsten einen Galgo aus dem Tierschutz. Mal gucken wie sich das Leben entwickelt.
 
Sehr interessant. Vor allem, weil man in unserer Ecke Windhunde eigentlich nie trifft (außer mal einen von Urlaubern).

Auf einer Ausstellung sah ich mal einen Afghanen, sehr edel, wie der daherschwebte.

Wobei es trotzdem nicht "meine" Hunde sind, zuwenig Hund, ich steh ja mehr auf die "Kompaktklasse".
 
Leider (oder zum Glück?) sieht man sie nicht häufig. Sind bestimmt nicht für jeden geeignet.

Du sagst es. Ich möchte unseren Buben auf keinen Fall missen und für uns war es definitiv die richtige Entscheidung, aber wir haben uns auch viele, viele Gedanken darüber gemacht.
Man muss sich halt bewusst sein, dass sie mit einem Arbeits-/Gebrauchshund nicht zu vergleichen sind. Man muss sich auf ihr spezielles Wesen einlassen und man muss immer bedenken, dass sie wirklich extreme Jäger sind.
Natürlich haben auch andere Rassen ihre Eigenheiten. Es gibt auch viele Andere Rassen, auf die man sich wirklich einlassen muss, aber auch die sind genausowenig 'für jeden geeignet'.

Bei diesen vielen Tierschutz-Galgos und - noch schlimmer - Podencos hab ich immer etwas Bauchschmerzen. Man will den Tieren immer was Gutes tun und holt dann die Hunde, die nur 'Prärie' und Schuppen kennen, in die Stadt. Viele sind der Herausforderung dann nicht gewachsen. Viele sind ihr restliches Leben lang panische 'Angsthunde', weil sie sich in der Umgebung nicht zurechtfinden. Viele büchsen aus, und die allermeisten können Zeitlebens nicht von der Leine....
Wer einmal einen Windhund hat frei rennen sehen, der weiß, dass das kein Leben für einen Windigen ist.

Tierschutz in allen Ehren, aber manchmal bin ich mir nicht so sicher, ob man den Tieren damit einen Gefallen tut... So eine Adoption sollte wirklich sehr sorgfältig überlegt sein.

Podencos sind ja nochmal eine Nummer für sich. Die Jagen nicht nur auf Sicht sondern suchen auch mit der Nase. Die sind oft überhaupt nicht ableinbar...
 



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